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THERAPY-Magazin
Frühmobilisation – Physiotherapeuten beweisen Wirkung ihrer Arbeit

Eine Studie zeigt, wie Frühmobilisation die Verweildauer im Krankenhaus reduziert, die Mobilität verbessert und Physiotherapeuten eine zentrale Rolle in der Intensivpflege gibt.

Author
Jakob Tiebel
Inhaber, N+ Digital Health Agency
Die Angst um die eigene Existenz als Physiotherapeut in Zeiten zunehmender Marktdynamik im Gesundheitswesen mit Fokus auf Kosteneffektivität ist verständlich, aber nicht unbedingt begründet. Warum die Veränderungen auch Chancen mitbringen und wie sie genutzt werden können, zeigen einige Beispiele auf.
Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden, erleiden durch eine andauernde Immobilisierung signifikante Funktionsverluste, die im Rahmen einer Anschlussrehabilitation nur bedingt kompensiert werden können. Der Muskelverlust bei Patienten mit Multiorganversagen kann in den ersten sieben Tagen nach der Aufnahme bis zu 20 % betragen. Obwohl sich die Sterblichkeit bei kritischen Erkrankungen verbessert, leiden die Überlebenden daher oft unter anhaltender Schwäche sowie psychischen und kognitiven Be­­einträchtigungen.

Glücklicherweise teilen immer mehr Kliniker die Auffassung, dass ein strukturierter Frühmobilisationsprozess das funktionelle Outcome von Überlebenden auf Intensivstationen signifikant verbessern kann und zu einer gesteigerten Lebensqualität im Anschluss an den Krankenhausaufenthalt beiträgt. Die Verweildauer sowohl auf der Intensivstation als auch im Krankenhaus kann durch Maßnahmen der Frühmobilisation signifikant reduziert werden. Das optimiert nicht nur den gesamten Versorgungsprozess, sondern senkt auch nachhaltig die Behandlungskosten pro Patient.
Frühmobilisation kann Intensiv- und Krankenhausaufenthalte verkürzen – und damit auch Behandlungskosten senken.
Der Physiotherapeut David McWilliams und seine Kolleginnen und Kollegen vom Universitätsklinikum Birmingham spielten im Hinblick auf diese positive Entwicklung eine nicht unbedeutende Rolle. Im Rahmen einer einjährigen Studie bewerteten sie die Auswirkungen von Frührehabilitationsprogrammen auf die Langzeitmorbidität von Patienten mit kritischen Krankheiten. Zwischen April 2012 und März 2013 dokumentierten sie die Verläufe von Patienten, die während ihres Aufenthaltes auf einer Intensivstation ein spezifisches Rehabilitationsprogramm erhielten. Die Ergebnisse verglichen sie mit Datensätzen aus dem Vorjahr, als die Patienten noch keine Frühmobilisation auf der Intensivstation erhielten.
Alle Patienten, die auf der Intensivstation aufgenommen und mehr als fünf Tage beatmungspflichtig waren, wurden in die Analysen einbezogen. Lediglich Patienten mit schweren Traumata und Hirnverletzungen wurden ausgeschlossen. Hauptverantwortlich für das Projekt waren der Fachphysiotherapeut David McWilliams, der mit der Verbesserung der Rehabilitation innerhalb der Intensivpflege beauftragt wurde, sowie zwei leitende Physiotherapeuten des Queen Elizabeth Hospitals Birmingham.
Funktionsverluste durch andauernde Immobilisierung bei Intensivpatienten können in Anschlussrehabilitationen nur bedingt kompensiert werden.
Vor der eigentlichen Implementierung des Rehabilitationsprogramms wurden zunächst die wichtigsten Beteiligten dazu angehalten, Schulungen über die Sicherheit und Effektivität strukturierter Rehabilitationsprogramme auf der Intensivstation zu absolvieren. Zusätzlich wurden fachpraktische Schulungen für das bestehende Physiotherapie- und Pflegepersonal angeboten. Begleitet wurde das Schulungsprogramm durch die Entwicklung von Algorithmen, Checklisten und Sicherheitskriterien für die Mobilisierung, um die klinische Entscheidungsfindung zu unterstützen.

Insgesamt erfüllten 292 Patienten die Einschlusskriterien der Studie während des Interventionszeitraums. Nach der Vorbereitungsphase wurden die Patienten wie üblich innerhalb von 24 Stunden nach der Aufnahme untersucht und erhielten die bereits etablierten physiotherapeutischen Interventionen. Die Patienten, die für mehr als fünf Tage beatmet wurden, wurden einem Bezugstherapeuten zugewiesen, der dann ein individuelles und strukturiertes Rehabilitationsprogramm durchführte. Der Behandlungsplan wurde in wöchentlichen multiprofessionellen Teambesprechungen mit den Ärzten, Physiotherapeuten, Intensivpflegekräften und einer Ernährungsberaterin für Intensivpflege überprüft und das individuelle Programm für die nächsten sieben Tage festgelegt.

Zur Motivation aller Beteiligten setzte das Team auf Visualisierung. Der progressive Trainingsplan für die jeweilige Woche und die daran geknüpften Rehabilitationsziele wurden als Anreiz für das multidisziplinäre Team auf Wandtafeln geschrieben. Zusammen mit den wöchentlichen Besprechungen zur Überprüfung der Fortschritte und zur Festlegung neuer Ziele für die Folgewoche konnte der Fokus dadurch konsequent auf die Rehabilitation gerichtet werden, was für eine graduierte Therapie mit dem Ziel kontinuierlicher Verbesserung unerlässlich war.
Die Ergebnisse der Studie sind eindeutig: Die durchschnittliche Verweildauer auf der Intensivstation wurde um 2,5 von 16,9 auf 14,4 Tage reduziert; die durchschnittliche Verweildauer im Krankenhaus sogar von 35,3 auf 30,1 Tage. Dabei verringerte sich auch die durchschnittliche Dauer der invasiven Beatmung von 11,7 auf 9,3 Tage. Neben einer kürzeren Zeit für die Erstmobilisierung (9,3 vs. 6,3 Tage) bestand zum Zeitpunkt der Entlassung aus der Intensivpflege auch ein höheres Maß an Mobilität (Manchester Mobility Score 3 vs. 5). Obwohl hinsichtlich der Sterblichkeit auf der Intensivstation kein signifikanter Unterschied zwischen den Daten aus der Vorstudie und den Studiendaten festgestellt werden konnte, war die Sterblichkeit im Krankenhaus nach Einführung des Programms signifikant niedriger (39 % vs. 28 %). Zudem ging die Einführung des Frührehabilitationsprogramms auf der Intensivstation mit einer signifikanten Reduzierung der 3-Jahres-Sterblichkeit einher (81/201 = 40,3 % vs. 60/222 = 27 %).

Das Projekt kostete das Krankenhaus zunächst £75.192, um zwei zusätzliche Physiotherapiestellen zu finanzieren. Die Reduktion der Verweildauern durch die Frührehabilitation entsprach schlussendlich aber einer Reduzierung der Patientenkosten um £951.200 für die Kohorte. In realen Zahlen spiegelte sich dies in der Einsparung von Bettentagen und einer erhöhten Kapazität von 3,7 Intensivbetten und 2,5 Stationsbetten wider. Nach den Ergebnissen des Projekts wurden die finanziellen Mittel für das Frührehabilitationsprogramm dauerhaft zugewiesen und die beiden Physiotherapeuten wurden übernommen, um das Projekt fortzuführen. Das Feedback der Patienten und Mitarbeiter zum Projekt war ausgezeichnet.
Die Ergebnisse dieses Projekts zeigen sehr eindrücklich, dass Frührehabilitation auf der Intensivstation das Potenzial hat, das Outcome von Patienten deutlich zu verbessern. Physiotherapeuten bietet sich die Chance, eine führende Rolle im Umsetzungsprozess zu übernehmen und effizientere Versorgungsprozesse zu unterstützen, ohne sich dabei Sorgen um die eigene Existenz machen zu müssen. Das Projekt wurde zu einer Zeit initiiert, als die Mittel für die Physiotherapie drastisch reduziert wurden. Doch anstatt einfach nur Stellen zu sparen, ist es gelungen, den entscheidenden Wert der Physiotherapie unter Beweis zu stellen und sogar ganz neue Werte zu schaffen.

Die Umsetzung eines neuen Behandlungspfads ist eine Herausforderung. Aber mit Ausdauer, Aufklärung und einem klaren Plan zur Bewertung der Ergebnisse kann offensichtlich viel erreicht werden. Die Studie unterstreicht, wie wichtig es ist, objektive Messgrößen an die Struktur und die Ergebnisse von Therapien zu knüpfen. Die Verwendung von Assessments und Mobilitätsscores hat in diesem Fall entscheidend dazu beigetragen, den zusätzlichen Nutzen der Einführung eines Frührehabilitationsprogramms nachzuweisen und die Rolle der Physiotherapie in Bezug auf die Verbesserung des Gesamtergebnisses darzustellen.

Andere Studien, wie die von Alice Chiarici und Kollegen bestätigen, dass dieser Befund kein Einzelfall ist. In ihrer Studie „An Early Tailored Approach Is the Key to Effective Rehabilitation in the Intensive Care Unit“ bestätigten die Wissenschaftler, dass ein interdisziplinärer Teamansatz, der eine frühzeitige und individualisierte Planung von Physiotherapieprogrammen ermöglicht, die beatmungsfreie Zeit von Intensivpatienten erhöht und die Gesamtverweildauer im Krankenhaus reduziert. Dies gilt insbesondere bei Patienten, die nach einer allgemeinen Operation auf der Intensivstation behandelt werden. Zudem beschreiben die Autoren, dass ein derartiger Rehabilitationspfad auf unterschiedliche geopolitische Szenarien verallgemeinert werden kann, da er durchführbar, sicher und kosteneffektiv ist. Die Ergebnisse wurden 2019 auf dem American Congress of Rehabilitation Medicine vorgestellt und im Journal „Archives of Physical Medicine and Rehabilitation“ publiziert.
Fachkreise
Intensiv- & Akutpflege
THERAPY Magazin
Wissenschaft
Author
Jakob Tiebel
Inhaber, N+ Digital Health Agency
Jakob Tiebel Studium in angewandter Psychologie mit Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft. Klinische Expertise durch frühere therapeutische Tätigkeit in der Neurorehabilitation. Forscht und publiziert zum Theorie-Praxis- Transfer in der Neurorehabilitation und ist Inhaber von Native. Health, einer Agentur für digitales Gesundheitsmarketing.
References:
  1. Chiarici A, Serpilli O, Andreolini M et al. (2019). An Early Tailored Approach Is The Key To Effective Rehabilitation In The Intensive Care Unit. Archives of Physical Medicine and Rehabilitation 100(8):1506-1514. doi: 10.1016/j.apmr.2019.01.015.
  2. McWilliams D, Weblin J, Atkins G et al. (2014). Enhancing rehabilitation of mechanically ventilated patients in the intensive care unit: A quality improvement project. Journal of critical care. 30(1):13-8. doi: 10.1016/j.jcrc.2014.09.018.

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