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THERAPY-Magazin
Frührehabilitation – Training kritisch kranker Patienten auf Intensivstation beginnt zeitnah

Frühzeitige Mobilisation auf Intensivstationen verbessert das Langzeitoutcome kritisch kranker Patienten. Lesen Sie, wie gezieltes Training Lebensqualität steigert und Komplikationen reduziert.

Author
Tobias Giebler
Bereichsexperte Intensivmedizin und Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen
Für eine schnellere Regeneration auf Intensivstationen ist es wichtig, dass kritisch kranke Patienten so zeitnah wie möglich mobilisiert werden. Die aktuelle Leitlinie „Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen“ der Deutschen Gesellschaft für Anästhesie und Intensivmedizin [1] empfiehlt, dass die Mobilisation der Patienten innerhalb der ersten drei Tage nach Aufnahme auf die Intensivstation beginnt und zweimal täglich für mindestens 20 Minuten algorithmusgestützt durchgeführt wird.
Warum ist der schnelle Therapiestart so entscheidend?

Immobilität, die Folge mangelnder Frühmobilisation, hat zahlreiche negative Effekte auf den Organismus. Für das Herzkreislaufsystem bedeutet dies, dass die Ruhefrequenz des Herzens steigt, das Gefäßsystem die Fähigkeit verliert, auf Lageveränderung adäquat zu reagieren (orthostatische Hypotension), und auch das Risiko eine Thrombose zu entwickeln steigt. Im Bewegungsapparat stellt sich rasch ein Atrophieprozess ein. Neben der Muskelatrophie verlieren auch die Knochen an Stabilität, der Gelenkknorpel ist minderversorgt, der Kapselbandapparat schrumpft. Folgen sind langfristige Bewegungseinschränkungen und schmerzhafte Veränderungen im Bereich der Gelenke. Für die Lunge bedeutet die Immobilität eine Minderbelüftung, meist in den tiefst liegenden Arealen. Folgen können ein Sekretstau, die Ausbildung von Atelektasen und Dystelektasen sowie letztendlich die Entwicklung einer Pneumonie sein. Das zentrale Nervensystem reagiert ebenfalls mit einer Atrophie, wenn es nicht gefordert wird. Außerdem entsteht psychischer Stress; die Inzidenz von Depression, Ängsten und Angststörungen sowie Delir steigt. Nicht selten ist eine PTBS (Posttraumatische Belastungsstörung) die Spätfolge. Auch auf andere Organsysteme wie den Stoffwechsel, das Hormonsystem, die Niere und für den Gastrointestinaltrakt hat die Immobilität negative Auswirkungen. Entsprechend hat die deutsche Leitlinie ihre Ziele formuliert. Hier heißt es, dass die Bewegungsfähigkeit gefördert werden soll, um die negativen Effekte der Immobilisierung zu verhindern mit der Zielsetzung das Langzeitoutcome zu verbessern [1]. Die Frühmobilisation kann daher als multipotente begleitende Therapie auf Intensivstationen betrachtet werden mit einem überaus attraktiven Verhältnis zwischen positiven Effekten und dem Nutzen sowie den Kosten.
Evidenzbasierte Effekte sind die Reduktionen von:
■ Delir, ein neuropsychiatrisches Syndrom mit Verwirrtheitszuständen, von welchem 80 % der beatmeten Patienten betroffen sind. Außerdem steigt die Ein-Jahres-Mortalität pro Delirtag um 10 % [6]
■ ICUAW (Intensive care unit acquired weekness), ein neuromuskuläres Organversagen mit Muskelschwäche bis zur Plegie und einer Mortalität bis zu 60 % [6]
■ Beatmungszeit [6]
■ ICU-Aufenthaltsdauer [5]
■ Mortalität [5]
Außerdem kann das Langzeitoutcome sowie der Erhalt von motorischen Fähigkeiten und der funktionellen Kraft verbessert werden. Dies schafft für Patienten die Option, wieder in ein selbstständiges und selbstbestimmtes Leben zurückzukehren. [6] Auf zellulärer Ebene werden entzündungsför­dernde Zytokine gehemmt bei gleichzeitiger Akti­vierung von antiinflammatorischen Botenstoffen (z. B. IL 10). Auch die Glucoseaufnahme in die Muskelzelle wird erleichtert. [6]

Nach Morris [5] zeigt sich bei einer Studie mit 330 Patienten, die länger als 24 Stunden beatmet waren, im Vergleich zur Standardtherapie, folgender Effekt durch protokollgestützte Frühmobilisation in den täglichen Sedierungspausen:
Als Argumente gegen die Frühmobilisation werden immer wieder Bedenken um die Sicher­heit der Patienten vorgetragen. Eine systematische
Überprüfung mit Metaanalyse [7] zeigte jedoch, dass Frühmobilisation sicher durchführbar ist.

Bei 23.000 Mobilisationen gab es lediglich 2,6 % unerwünschte Ereignisse wie Sauerstoff­sättigungs­abfälle, von denen lediglich 0,3 % eine Konsequenz wie die Erhöhung von blutdrucksteigernden Medikamenten zur Folge hatten.
Auf einen Blick Zusammengefasst

1.Kritisch kranke Patienten sollten zeitnah mobilisiert werden – möglichst schon in­nerhalb der ersten drei Tage. Bettfahrräder können hier sinnvolle Hilfsmittel und Arbeitserleichterung für Therapeuten sein.

2.Frühe Mobilisation auch auf der Intensivstation bringt viele positive Effekte mit sich – unter anderem reduzieren sich Beatmungszeit, Aufenthaltsdauer auf der Intensivstation und Mortalitätsrate. Die Wahrscheinlichkeit, in ein selbstbestimmtes Leben zurückzukehren, steigt.

3.Bewegungsmangel führt zu höherem Ruhepuls und steigendem Thrombose­risiko und hat negative Auswirkungen auf Knochenstabilität und Stoffwechsel. Insgesamt kann Immobilität langfristig zu Bewegungseinschränkungen führen.

Leitfaden Frühmobilisation

Das Risiko durch Frühmobilisation kann also als vernachlässigbar angesehen werden, in jedem Fall überwiegen ihre Chancen. Doch wie kann dies umgesetzt werden?

Der ABCDEF-Bundle [4], ein evidenzbasierter Leitfaden für Kliniker, der das Ziel hat, organisatorische Änderungen anzugehen, welche für eine bessere Genesung und Outcomes von Intensivpatienten förderlich sind, nennt explizit die Mobilisation.
Im Einzelnen stehen die Buchstaben für:
A = Assess, prevent, and manage pain
B = Both spontaneous awakening & breathing trials
C = Choice of medication management
D = Delirium
E = Early mobilisation & exercise
F = Family engagement and empowerment
Hauptsächlich soll es hier um „early mobilisation“ gehen. Schnell wird aber deutlich, dass alle anderen Punkte gar nicht auszuklammern sind. So ist beispielsweise eine optimale Schmerz- und Beatmungssituation Grundvoraussetzung für eine Mobilisation und muss nicht selten im Prozess
angepasst werden. Auch wird im Rahmen dieses breiteren Ansatzes deutlich, dass die Frühmobilisation eine interdisziplinäre Aufgabe ist.
Es bedarf einer engen Absprache, eines gemeinsamen Willens und Ziels sowie einer interdisziplinären Evaluation, um erfolgreich den kritisch kranken Patienten optimal zu fördern. Auch der Patient ist Teil des Behandlungsteams und sollte, sobald es die Vigilanz zulässt, in diesen Prozess mit einbezogen werden.
Empfohlen wird ein systematisches Vorgehen zur Planung der Mobilisation [1]. Wie aus der Luftfahrt bekannt, finden auch hier Checklisten ihren Einsatz. Auch werden in diesem Zuge die Abbruch­kriterien definiert und aus der Auswertung der Checkliste die aktuelle Mobilisationsstufe geschlossen.
In der praktischen Umsetzung mit dem Patienten wird die Frühmobilisation [1] in drei Untergruppen unterteilt:
1. passive Mobilisation
2. assistiert-aktive Mobilisation
3. aktive Mobilisation

Die Frage, welcher Subgruppe der Patient zu­zuordnen ist, zeigt sich durch den Evaluations­prozess in Vorbereitung auf die Mobilisation. Entscheidend sind hier die Vigilanz und das Ergebnis der bereits erwähnten Checkliste. Gerne wird die Stufe dann in der ICU Mobility-Scale [6] ausgedrückt. Ein prak­tisches Beispiel: Ein postoperati­-
ver Herzpatient, kontaktfähig, keine Ausschluss­-
kriterien für die Frühmobilisation wird der
assistiert-aktiven Mobilisation und einem ICU
Mobility Scale von > 3 (mindestens Sitz an der Bettkannte) zugeordnet.
Zur Steuerung der Belastung und der Ateman­strengung eignet sich beispielsweise die Borg-
Skala [8]. Als Zielbereich hat sich ein Wert
zwischen 4 – 7 BS bewährt.
Schwerpunkte der passiven Mobilisation
■ passives Bewegen in funktionellen Mustern
■ Wahrnehmungsförderung über verschiedene Reize und Sinne (thermisch, mechanisch, akus­tisch, vestibulär)
■ Atemtherapie in verschiedenen Lagen; Sek­re­-
tolyse falls vorhanden, Thoraxmobilisation, Verbesserung der Ventilation in minderbelüfteten Abschnitten
■ Bettfahrrad passiv

Schwerpunkte der assistiv-aktiven Mobilisation
■ beginnende Eigenaktivität fördern und therapeutisch nutzen
■ assistives Bewegen – möglichst in sinnvollen Handlungen, bspw. Stäbchen mit Wasser zum Mund bringen
■ Erarbeiten von Bewegungsübergängen, Potenzial des Patienten nutzen
■ Mobilisation in den assistierten Sitz
■ Rumpfstabilität erarbeiten, Voraussetzung für alle höheren Ausgangsstellungen.
■ Vertikalisierung, Anbahnen des Stehens
■ Wahrnehmungsförderung und kognitives
Training
■ Atemtherapie

Schwerpunkte der aktiven Mobilisation
■ resistive Übungen – nach persönlichen
Neigungen (Spaß als Motivation)
■ aktive Bewegungsübergänge einüben
->Selbstständigkeit
■ Bettfahrrad aktiv
■ Stehtraining und Gangschule
■ jede Form des Handlings kann genutzt
werden -> Trainingsaspekt

Entsprechend der Leitlinie [1] sollte das Bettfahrrad also in allen Mobilisationsstufen eingesetzt werden, denn es bündelt viele positive Effekte für den Patienten. Die Beweglichkeit wird erhalten und gefördert, das kardiovaskuläre System wird angeregt, der oxidative Stress kann reduziert und das Lymphsystem angeregt werden. In einer Studie von Burtin [2] wurde die Standardmobilisation mit Standardmobilisation und 20 min. Bettfahrrad täglich verglichen. Im 6-Minuten-Gehtest bei Entlassung zeigte sich ein deutlicher Unterschied in der Gangfähigkeit der Patienten: 143 m vs. 196 m, die Gehstrecke konnte also um 37 % gesteigert werden. Diese Methode der Frühmobilisation kann als gute Ergänzung beispielsweise für eine zweite Trainingseinheit am Tag verwendet werden, da der Zeitaufwand für die Installation gering ist.
Der Patient im Fokus

Zusammenfassend ist die Frühmobilisation eine herausfordernde Teamaufgabe, die eine hohe Motivation aller Beteiligten voraussetzt und die Rückkehr des Patienten in ein selbstbestimmtes Leben zum Ziel hat. Erst wenn alle beteiligten Fachdisziplinen gemeinsam evaluieren, planen und ein gemeinsames Ziel vor Augen haben, kann diese Aufgabe optimal gelöst werden. Dies bedarf eines systematischen Vorgehens, einer guten Planung und einer konsequenten aufmerksamen Durchführung. Hierbei muss der Patient im Fokus stehen, er muss sich stets sicher, gut auf­gehoben und miteinbezogen fühlen. Gerade bei noch nicht vollständig orientierten Patienten spielt die Umgebungsatmosphäre dabei eine entscheidende Rolle. Der Patient braucht klare, kurze Instruktionen. Da die Verarbeitung meist verlangsamt ist, muss die Zeit für die Reaktion geschaffen werden.

Nicht zuletzt ist die Ausstattung mit Personal und technischen Hilfsmitteln entscheidend. Wenn gerade so das allernotwendigste wie Medikamentengabe und die Überwachung mit Intervention möglich ist, kann dem Intensivpflegepersonal eine Frühmobilisation als Zusatzaufgabe unter Umständen nicht zugemutet werden. Gut geplant und geschickt eingebracht kann die Frühmobilisation aber auch positiv aufgenommen werden. Der Mobilisationszeitpunkt kann beispielweise mit der Körperpflege oder der Lagerung des kritisch kranken Patienten verbunden werden. Dies stellt für die Pflege eine unmittelbare Arbeitserleichterung dar.

Fehlende Hilfsmittel wie Bettfahrräder, geeig­nete Mobilisationsstühle und Transfer­möglichkeiten sind aber auch mit Kombinationsgeschick nicht zu ersetzen.
Die Thematik der Frühmobilisation hat sich in den letzten Jahren stark entwickelt, bietet jedoch noch deutlich mehr Potenzial. Die Datenlage zu den positiven Aspekten der Frühmobilisation ist eindeutig, sie schont langfristig betrachtet erhebliche Ressourcen im Krankenhausalltag und ermöglicht vor allem ein langfristiges selbstbestimmtes Leben für jeden einzelnen Patienten. Es wäre daher im Sinne von Wirtschaftlichkeit und Patientenwohl zu begrüßen, dass die Thematik ernst genommen und die technische Ausstattung mit entsprechenden Hilfsmitteln verbessert wird.
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Author
Tobias Giebler
Bereichsexperte Intensivmedizin und Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen
Tobias Giebler absolvierte im Jahr 2013 sein Examen zum Physiotherapeuten an der Universitätsklinik Freiburg. Durch seinen mehrjährigen Einsatz im Rettungsdienst als Rettungssanitäter brachte er bereits Kenntnisse im Umgang mit Patienten auf der Intensivstation in seine physiotherapeutische Ausbildung mit. Seit nun 9 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Frühmobilisation. Er arbeitet an der Universitätsklinik Tübingen im Therapiezentrum, ist seit Mitte letzten Jahres stellvertretender Bereichsexperte und seit dem Jahr 2023 Bereichsexperte für die Bereiche Intensivmedizin und Neurochirurgie.
References:
  1. Bein T, Bischoff M, Brückner U et al. (2015). S2e-Leitlinie: „Lagerungstherapie und Frühmobilisation zur Prophylaxe oder Therapie von pulmonalen Funktionsstörungen“, Deutsche Gesell­schaft für Anästhesiologie und Intensivmedizin (DGAI).
  2. Burtin C, Clerckx B, Robbeets C et al. (2009). Early exercise in critically ill patients enhances short-term functional recovery.
  3. Hodgson C, Needham D, Bailey M et al. (2014). ICU Mobility Scale
  4. Marra A, Ely EW, Pandharipande PP, Patel MB (2018). The ABCDEF Bundle in Critical Care.
  5. Morris PE, Goad A, Thompson C et al. (2008). Early intensive care unit mobility therapy in the treatment of acute respiratory failure.
  6. Nessizius S, Rottensteiner C, Nydahl P (2017). Frührehabilitation in der Intensivmedizin – Interprofessionelles Management, S. 90-174.
  7. Nydahl P, Sricharoenchai T, Chandra S, Kundt FS, Huang M, Fischill M, Needham DM (2017). Safety of Patient Mobilization and Rehabilitation in the Intensive Care Unit. Systematic Review with Meta-Analysis
  8. Nydahl P, Sricharoenchai T, Chandra S, Kundt FS, Huang M, Fischill M, Needham DM (2017). Safety of Patient Mobilization and Rehabilitation in the Intensive Care Unit. Systematic Review with Meta-Analysis

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