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THERAPY-Magazin
Kritik an geriatrischer Krankenhaus-Reha

Geriatrische Krankenhaus-Rehabilitation wird zunehmend hinterfragt: Studien zeigen höhere Pflegebedürftigkeit und finanzielle Anreize, die individuelle Patientenbedürfnisse oft in den Hintergrund drängen.

Author
Jakob Tiebel
Inhaber, N+ Digital Health Agency
Ältere und mehrfach kranke Patienten werden aktuellen Studien zufolge in Krankenhäusern oft nicht optimal versorgt. Die Zahl geriatrischer Patienten im Krankenhaus mit jeweils mehreren Krankheiten stieg allein in Deutschland zwischen 2006 und 2015 von 1,1 auf 2 Millionen an. Die Betroffenen bekommen in steigender Zahl bereits in der Klinik eine spezielle Rehabilitationsbehandlung, die aufgrund der Versorgungskomplexität deutlich teurer, aber nicht unbedingt besser zu sein scheint als eine normale Reha.
Die Folgen des demografischen Wandels sind allgegenwärtig. In Europa und in anderen Industriestaaten der Welt nimmt die Zahl der über 70-jährigen Patienten in Krankenhäusern rasant zu. In den letzten zehn Jahren hat sich die Zahl geriatrischer Patienten um rund 80 Prozent erhöht.
Die Zahl der über 70-jährigen Patienten in Krankenhäusern steigt rasant.
Allein in Deutschland ist laut aktueller Krankenkassenstudie ein Wachstum von rund einer Million Behandlungsfälle zu verzeichnen. Prognosen liefern Annahmen, dass die „Generation 70 plus“ bis 2050 mindestens weitere 50 Prozent Zuwachs erfährt.

Die Altersmedizin widmet sich als recht neue Disziplin speziell den hochbetagten Patienten, deren Gesundheit und Selbstständigkeit häufig nicht nur durch eine, sondern gleich durch mehrere akute und chronische Erkrankungen eingeschränkt ist.

Die Arbeit am Patienten erfolgt in multiprofessionellen Teams, zu denen Fachärzte für Neurologie, Innere Medizin und Geriatrie sowie Mitarbeitende der Krankenpflege, Physiotherapie, Ergotherapie, Logopädie, Sozial- und Pflegeberatung, Ernährungsberatung, Psychologie und Seelsorge gehören. Gemeinsam wird das Ziel verfolgt, alltagsrelevante Funktionsstörungen unter Berücksichtigung der körperlichen, seelischen, sozialen und geistigen Ebene zu erkennen und gezielt zu behandeln. Doch leider richtet sich die Versorgung in der Realität nicht immer nach den individuellen Bedürfnissen der Patienten. Den Krankenhäusern scheint es heute vor allem um eins zu gehen – nämlich ums Geld.
Krankenhäusern geht es heute vor allem um eins – ums Geld.
Mit der Einführung diagnosespezifischer Fallpauschalen und tagesgleicher Behandlungssätze sind die Anforderungen an ein erfolgreiches Krankenhausmanagement erheblich gestiegen. Nachdem sich im Gesundheitssystem über viele Jahrzehnte kaum etwas bewegt hat, ist die Veränderung heute vielfach zur einzig noch bleibenden Konstante geworden. Die Abschaffung des Selbstkostenprinzips und die Einführung von Fallpauschalen haben das Thema wirtschaftliche Betriebsführung und damit überlegte Belegungssteuerung zu einem zentralen Thema für viele Krankenhäuser gemacht.

Zahlreiche Kliniken haben in den vergangenen Jahren aufgrund eines drastisch gestiegenen Wettbewerbs- und Preisdrucks bereits ihre Pforten schließen müssen. Fast jedes zweite Krankenhaus ist in seinem betriebswirtschaftlichen Ergebnis defizitär.

Die anfallenden Gesamtkosten sind oftmals höher als die Erlöse, die aus Fallpauschalen erzielt werden können. Kurzfristige Erlössteigerungen werden über Mengenausweitungen und die Verhandlung von Zusatzentgelten geschaffen. Kostenreduktionen werden vor allem durch eine Verringerung des Personal- und Technologieeinsatzes sowie durch Verkürzung der Verweildauern erreicht.
Multidisziplinär aufgestellte Krankenhäuser können optimale Versorgung gewährleisten.
Langfristig erfolgversprechend sind diese Maßnahmen jedoch nicht. Vielmehr scheint eine Neustrukturierung der Versorgungsprozesse und eine Optimierung klinischer Behandlungspfade notwendig zu sein, um „Values & Value“, das heißt Werteorientierung aus ethisch-moralischer Sicht und Wertorientierung im Sinne zielgerichteten
ökonomischen Handelns, erfolgreich miteinander zu verbinden. Doch leider sind diese strategischen Ansätze in der Realität kaum anzutreffen. Das Klinikmanagement tritt noch viel zu häufig als „Feuerwehr“ in Erscheinung, anstatt in langfristig wirksame „Brandschutzmaßnahmen“ zu investieren.

Beispielhaft darstellen lässt sich diese Situation am Versorgungsprocedere einer der häufigsten Verletzungen hochaltriger Menschen: dem Oberschenkelhalsbruch. Ursache ist in den meisten Fällen ein Sturz seitlich auf die Hüfte oder auf das gestreckte oder abgespreizte Bein. Der Hüftbruch verursacht den Betroffenen starke Schmerzen und das Bein kann in Folge nicht mehr aktiv bewegt werden. Die Therapie der Wahl ist eine Operation. Dramatische Folge ist dennoch in vielen Fällen die dauerhafte Pflegebedürftigkeit.

Denn mit dem Bruch beginnt ein Teufelskreis aus Immobilisation und mangelnder Aktivierung. Die Betroffenen trauen sich kaum noch aus dem Bett, weil sie das Gefühl haben, sich nicht mehr auf ihren Körper verlassen zu können. Sie haben große Angst zu stürzen und entwickeln Vermeidungsstrategien. Der daraus resultierende Bewegungsmangel führt zu einer progredienten Abnahme von Kraft, Ausdauer und Beweglichkeit – es kommt zu erneuten Stürzen und Komplikationen wie Thrombosen und Lungenentzündungen.

Durch die richtige Therapie nach der Operation kann das verhindert werden. Entscheidend ist, dass die Patienten möglichst schnell und gezielt wieder fit für den Alltag gemacht werden. Das geschieht im Normalfall im Rahmen einer sich anschließenden Rehabilitationsmaßnahme. Da geriatrische Patienten aufgrund ihrer Vorerkrankungen aber oft nicht stabil genug sind, um in eine Anschlussrehabilitation übergeleitet zu werden, erfolgt die Weiterbehandlung im Krankenhaus, im Rahmen einer speziell zu diesem Zweck geschaffenen geriatrischen frührehabilitativen Komplexbehandlung (GFKB). Durch die GFKB soll der instabile Übergang geriatrischer Patienten aus der Akutbehandlung in die Rehabilitation kompensiert werden.
Die zunehmende altersabhängige Multimorbidität provoziert die Notwendigkeit solcher Behandlungsprozeduren. Der Vorteil der in das Fallpauschalensystem integrierten Leistungserbringung wird damit begründet, dass die geriatrietypische Multimorbidität damit Bestandteil der Falldefinition wird und die zu erbringenden Leistungen damit explizit korrespondieren. Das bedeutet, dass sich hinter einer geriatrischen Rehabilitation im Krankenhaus komplexe Leistungen verbergen, die Versorgungspauschalen rechtfertigen sollen. Und so ist es auch: Kliniken können entsprechend höhere Pauschalen abrechnen, wenn sie geriatrische Patienten nach der Akutbehandlung mindestens zwei Wochen stationär in der GFKB versorgen. Die Leistungserbringer geben den Kostenträgern damit das Versprechen, unter Wahrung des Wirtschaftlichkeitsprinzips den Behandlungsstau Demografie-induzierter Multimorbidität optimal aufzulösen. Sowohl sozial- und leistungsrechtlich, als Frührehabilitation im Krankenhaus, wie auch fallpauschalenkonform, als Komplexbehandlung abgesichert, verfügt die GFKB damit durchaus über Potential.

Doch eine aktuelle Studie zeigt Schwächen der GFKB auf. Während nach der Krankenhaus-Rehabilitation rund 47 Prozent der Patienten nach einem Oberschenkelhalsbruch pflegebedürftig werden, sind es bei einer traditionellen Rehabilitation mit nur 40 Prozent deutlich weniger.
Kliniken, die ihre Zukunft sichern wollen, müssen sich bereits heute auf den Weg machen
Dennoch ist die Zahl der Komplexbehandlungen in den vergangenen Jahren stark gestiegen. Besonders hoch ist der Anteil derjenigen Patienten, die nach exakt 14 Tagen aus der Klinik entlassen werden, was an der finanziellen Vergütung liegen könnte. Die Komplexbehandlung nach Oberschenkelhalsbruch schlägt nämlich nach 14 Behandlungstagen mit circa 4.100 Euro zu Buche. Das sind rund 1.000 Euro mehr als für eine klassische Rehabilitation vergütet werden. Es drängt sich also die Frage auf, ob bei der Versorgung tatsächlich die individuellen Patientenbedürfnisse oder eher finanzielle Anreize im Vordergrund stehen.
Die Möglichkeiten der GFKB dürfen jedoch nicht grundsätzlich in Frage gestellt werden. Es zeigt sich, dass multidisziplinär aufgestellte Krankenhäuser mit entsprechender Spezialisierung durchaus eine gute Versorgung gewährleisten können.

Zusätzlich verlangt medizinische Versorgung auch in der heutigen Zeit ein hohes Maß an ethisch-moralischen und sozialen Werten mit der Ergänzung, dass diese durch gute betriebswirtschaftliche Steuerung finanzierbar bleiben muss.
Die Rahmenbedingungen werden zukünftig weiter dazu führen, dass sich Wettbewerbselemente im Gesundheitsmarkt etablieren und die Entgelte pro Fall weiter sinken. Kliniken, die langfristig ihre Zukunft sichern wollen, müssen sich bereits heute auf den Weg machen, um künftig wettbewerbsfähig zu bleiben. Wobei Sparen allein sicher kein nachhaltiges Rezept darstellt. Vielmehr geht es darum, einen grundlegenden Wandel zu organisieren und wertschöpfungsrelevante Prozesse so zu optimieren, dass sie einer optimalen Versorgung der Patienten und dem betriebswirtschaftlichen Ergebnis gleichermaßen zuträglich sind. Und nicht zuletzt gilt es auch in der Geriatrie, getreu dem Motto "Vorsorge ist besser als Nachsorge", stärker auf Prävention zu setzen und etwa Stürze zu vermeiden.
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Author
Jakob Tiebel
Inhaber, N+ Digital Health Agency
Jakob Tiebel Studium in angewandter Psychologie mit Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft. Klinische Expertise durch frühere therapeutische Tätigkeit in der Neurorehabilitation. Forscht und publiziert zum Theorie-Praxis- Transfer in der Neurorehabilitation und ist Inhaber von Native. Health, einer Agentur für digitales Gesundheitsmarketing.
References:
  1. Albrecht M, Töpfer A (2017). Handbuch Changemanagement Krankenhaus. 20-Punkte Sofortprogramm für Kliniken. 2. Auflage, Springer Verlag
  2. Augurzky B et al. (2017). Krankenhausreport 2017. Schriftenreihe zur Gesundheitsanalyse. Band 4, RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung.
  3. Ernst F (2012). Neue Entwicklungen in der Krankenhausbegutachtung. Geriatrische Frührehabilitation im Spannungsfeld zwischen Krankenhaus- und Rehabilitationseinrichtungen. DGSMP-Jahrestagung.
  4. Geissler A (2013). DRG-Systeme in Europa. ZVEI-Jahrestagung 2013. WHO Collaborating Centre for Health Systems, Research and Management.
  5. Wrobel N (2008). Die Demografie verändert die Grundversorgung. Die geriatrische Komplexbehandlung gehört in jedes Krankenhaus. f&w: 2

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