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THERAPY-Magazin
Perspektivwechsel

Bernd Tittel berichtet über seinen Weg von der Intensivstation zurück ins Leben nach einer COVID-19-Erkrankung. Das Interview beleuchtet die Herausforderungen der Frühmobilisation und den Einsatz von Technologien wie dem Bettfahrrad in der Rehabilitation.

Author
Tobias Giebler
Bereichsexperte Intensivmedizin und Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen
Interview mit Bernd Tittel: Einblicke in die Welt eines schwerst betroffenen ICU-Patienten
In einem exklusiven Interview gewährt Bernd Tittel, der im Herbst 2021 am Coronavirus erkrankt war, Einblicke in seinen Krankheitsverlauf und den beeindruckenden Weg zurück ins normale Leben. Tobias Giebler, unser klinischer Spezialist für Frühmobilisation auf der Intensivstation, führte das Gespräch und ermöglicht so eine einzigartige Perspektive auf die Herausforderungen und Erfolge während der Behandlung.
Tobias Giebler: Vielen Dank, dass du dir Zeit nimmst und uns die Chance gibst, die Perspektive zu wechseln und einmal die Brille eines schwerst betroffenen ICU-Patienten aufzusetzen. Bernd, lass uns deinen Verlauf nochmal skizzieren. Im Herbst 2021 bist du im Fenster zwischen der ersten und zweiten Impfung am Coronavirus erkrankt – richtig?

Bernd Tittel: Im Frühjahr 2021 war ich einmal Covid positiv, habe dann im August 2021 die erste Impfung bekommen und stand kurz vor meiner zweiten Impfung. Dann habe ich mich mit der Delta-Variante infiziert. Ich glaube, es war der 17. November. Es ging mir zunehmend schlechter und ich wurde mit dem Rettungswagen nach Überlingen in die Klinik gebracht. Dort hat sich die Situation so zugespitzt, dass ich beatmet nach Tübingen verlegt wurde.

Tobias Giebler: Was weißt du von dieser Zeit? Was hast du wahrgenommen? Wie war das?
Bernd Tittel: Ich weiß noch, dass ich zu Hause in den Rettungswagen eingestiegen bin. In der Notaufnahme muss ich irgendwie noch ein paar organisatorische SMS verschickt haben – dann weiß ich nichts mehr.
Tobias Giebler: Gar nichts mehr? Keine Bilder, keine Geräusche?

Bernd Tittel: Nein, gar nichts. Ich kann dir heute sagen, dass ich anscheinend mit dem Fahrzeug nach Tübingen verlegt worden bin. Fliegen war nicht möglich. Vom Hörensagen stand es Spitz auf Knopf - es war nicht 5 nach 12, sondern 5 vor 1, als ich in Tübingen ankam.

Tobias Giebler: Bei meinem ersten Kontakt mit dir warst du bereits an das Lungenersatzverfahren, an die ECMO (Extrakorporale Membran-oxygenierung) angeschlossen. Dann wurdest du entsprechend Empfehlungen regelmäßig für mindestens 16 Stunden in Bauchlage gelagert. In den Zwischenzeiten wurdest du dann wach. Was waren deine ersten Wahrnehmungen, das erste, was du mitbekommen hast? Wie ging es dann weiter?

Bernd Tittel: In dieser Zeit hatte ich Nahtoder-fahrungen und ich hatte ganz wirre Träume. Ich habe immer geträumt, ich bin mit einem Militärhubschrauber ins Bundeswehrkrankenhaus verlegt worden. Ich bin also wachgeworden mit der Wahrnehmung, dass ich in Ulm im Bundeswehrkrankenhaus liege. Warum auch immer. Dann wurde ich aufgeklärt, wo ich eigentlich bin und was mit mir passiert ist.

Tobias Giebler: Weißt du noch, wer dich aufgeklärt hat und wie das verlief?

Bernd Tittel: Nein, alle sahen gleich aus - Blaue Schutzkittel, Maske, Brille.

Tobias Giebler: War das ein Problem für dich, dass du damit nicht erkannt hast, mit wem du da sprichst?

Bernd Tittel: Nein, erstmal nicht. Ich war dankbar, dass jemand mit mir spricht. Dass sich jemand die Zeit nimmt und mir sagt, wo ich bin und da ist für mich. Mein Zustand war wie betrunken. Ich konnte mich nicht äußern.

Tobias Giebler: Durch den Beatmungsschlauch richtig? Wenn man wach wird und das Gefühl hat, abgeholt zu werden, ist das sicher wohltuend. Hast du dich verstanden gefühlt trotz der Unmöglichkeit sprechen zu können?
Bernd Tittel: Die Kommunikation war grundsätzlich ein großes Problem. Die ganzen Fachbegriffe, und ich konnte nicht fragen, mich nicht verständigen. In Folge habe ich mich oft nicht gehört gefühlt.

Tobias Giebler: Und jetzt warst du für uns noch ein Patient, der schnell wach und kontaktfähig war und wo der Beatmungsschlauch gut zu kompensieren war, weil wir deine Lippen lesen konnten und wir auch schnell eine Buchstabentafel und ein Schreibbrett zur Hilfe nehmen konnten. Ich hatte selten das Gefühl überhaupt nicht zu verstehen, was du mitteilen wolltest. Hat sich das Verstanden werden verändert in der Zeit?

Bernd Tittel: Das war sehr abhängig vom „Gegen-über“. Eine Frage des drauf Einlassens. Gerade auch mit den Tafeln und dem Schreiben. Dann kam noch erschwerend dazu, dass es in meinen Arm eingeblutet hatte. Dann konnte ich nicht mal mehr zeigen und schreiben. Das war dann schon eine Barriere, die mir zu schaffen gemacht hat, aber es war gut zu wissen, dass immer jemand da ist.

Tobias Giebler: Hast du Schmerzen gehabt in dieser Zeit?

Bernd Tittel: Nein, an Schmerzen kann ich mich nicht erinnern.

Tobias Giebler: Was hast du von den technischen Gerätschaften, Alarme und so weiter wahrgenommen?

Bernd Tittel: Ständig waren da Alarme und Signalgeräusche, die mit mir zu tun hatten, ja!

Tobias Giebler: Kannst du das genauer beschreiben?

Bernd Tittel: Man hat ja Zeit. Man versucht irgendwann die Geräusche zu lesen. Jedes Geräusch bedeutet ja etwas anderes. Irgendetwas ist leer, die Nahrung oder ein Medikament. Man versucht rauszukriegen, was bedeutet das alles. Es erschließt sich nicht alles, aber manches wurde mit der Zeit schon klarer. Wirklich hart war, dass die Geräusche ununterbrochen da waren. Man kam eigentlich nie zur Ruhe, hatte dadurch auch keine richtige Nachtruhe. Das war etwas, das mich belastet hat.

Tobias Giebler: Ich erinnere mich, in den Zeiten der Bauchlagerung hast du meist geschlafen. Dadurch war ein gewisser Rhythmus vorgegeben. Weißt du von dieser Zeit der Bauchlagerung noch etwas?

Bernd Tittel: Nein, da weiß ich nichts von.

Tobias Giebler: Woran erinnerst du dich in den wachen Phasen?

Bernd Tittel: Ich war immer müde. Müdigkeit hat mich eigentlich generell begleitet durch diese ganze Phase. Ich wollte eigentlich immer schlafen, aber es ging dann manchmal halt nicht, weil es einfach zu hell war, oder zu laut. Also Müdigkeit war mein ständiger Begleiter.

Tobias Giebler: In den Zeiten, wo du wach warst, lief ja dann auch Therapie. Wir hatten 1-2 mal die Woche Logopädie, Ergotherapie, Physiotherapie. Ich nehme an, dass das anstrengend war für dich?
Bernd Tittel: Die Physiotherapie war so, dass ich dann mal mit den Zehen wackeln sollte. Aber nach so einer Aufforderung war ich meistens froh, wenn ich dann erstmal wieder geschlafen habe. Man versucht schon alles, aber es geht halt kaum was, wenn man so müde ist.

Tobias Giebler: Ich habe dich als einen sehr positiven Menschen erlebt, der sich unglaublich engagiert hat in diesen Therapieeinheiten. Du hast die Logopädin immer aufgefordert, noch ein wenig länger mit dir zu üben. Wie kam es dazu?

Bernd Tittel: Nun ja, einerseits ist es das Bedürfnis nach Bewegung und Normalität. Andererseits hat es mich anfangs tatsächlich motiviert, dass ich dadurch auch meinen Tag in zwei Hälften teilen konnte. Dann war wieder Zeit für mich.

Tobias Giebler: Der Psychiater hat sehr früh begonnen, dich aufzusuchen. Du hattest also psychologische Betreuung während dieser Zeit. Wie hast du das empfunden?

Bernd Tittel: Das war durchaus wichtig. Manchmal habe ich diese Gespräche vermisst. Gerade auch, wenn manche Tage wirklich nicht schön waren.

Tobias Giebler: Wie empfandest du die Hilfsbereit-schaft und das Engagement des Pflegepersonals?

Bernd Tittel: Die Pflegerinnen und Pfleger waren alle sehr engagiert und haben sich um mich gekümmert, aber das ist ja auch ihr Job. Besonders gefreut habe ich mich über die studentischen Pflegekräfte, die waren teilweise in meinem Alter und haben sich einfach ein bisschen mehr Zeit für mich genommen.

Tobias Giebler: Wie war es für dich, als du das erste Mal aufstehen konntest?

Bernd Tittel: Das war ein riesiger Fortschritt. Ich weiß noch, wie ich nach 3-4 Wochen das erste Mal aufstehen konnte. Ich hatte aber immer noch so ein Schwächegefühl in den Beinen. Es war ein Riesenschritt, aber es war sehr wackelig. Es hat sich einfach nicht so sicher angefühlt.
Ich war dankbar, dass jemand mit mir spricht. Dass sich jemand die Zeit nimmt und mir sagt, wo ich bin und da ist für mich.
Tobias Giebler: Konntest du schon gleich gehen oder wie war das?

Bernd Tittel: Nein, ich konnte noch nicht gehen. Ich habe mit dem Rollstuhl meine ersten Ausflüge gemacht. Man hat mir dann auch so eine Art Rollator angeboten, aber ich habe mich da nicht so sicher gefühlt.

Tobias Giebler: In den letzten Tagen vor deiner Entlassung wurde dann die Rehabilitation geplant und vorbereitet. Du wurdest dann nach Kempten verlegt. Wie war das für dich?

Bernd Tittel: Kempten war erstmal eine Erholung für mich. Dort konnte ich ein bisschen runterkommen und Kräfte sammeln. Es war eine Umstellung, von der Intensivstation auf einmal in so einer Reha-Einrichtung zu sein. Dort hatte ich dann auch Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie.

Tobias Giebler: Wie hast du die Zeit in der Reha empfunden?

Bernd Tittel: Die Zeit in der Reha war insgesamt gut. Man konnte viel lernen. Man konnte viel für sich mitnehmen. Ich habe auch die Gruppenangebote genutzt. Dort hat man viele Menschen getroffen, die das Gleiche durchgemacht haben.

Tobias Giebler: Was waren für dich die wichtigsten Erfolge in der Reha?

Bernd Tittel: Ich konnte wieder selbstständig aufstehen, mich anziehen, ein bisschen laufen. Das waren alles so Schritte, die mich vorangebracht haben. Die Fortschritte waren im Nachhinein betrachtet riesig.

Tobias Giebler: Du bist dann entlassen worden aus der Reha. Wie geht es jetzt weiter für dich?

Bernd Tittel: Ich mache jetzt eine ambulante Reha weiter. Dort habe ich wieder Ergotherapie, Physiotherapie, Logopädie. Ich habe jetzt auch einen Assistenzhund an meiner Seite, der mir im Alltag hilft.

Tobias Giebler: Hast du das Gefühl, dass du wieder der Alte bist oder hat sich etwas verändert?

Bernd Tittel: Nein, ich bin definitiv nicht der Alte. Es
gibt schon viele Veränderungen. Körperlich und auch mental. Man hat viel Zeit gehabt, über sich nachzudenken. Man hat ja auch viel Zeit im Bett verbracht.

Tobias Giebler: Wie gehst du mit diesen Veränderungen um?

Bernd Tittel: Manchmal schwer, manchmal leicht. Man muss sich da einfach durchbeißen und gucken, dass man das Beste daraus macht. Man kann nicht einfach nur sitzen und aufgeben.

Tobias Giebler: Hast du Pläne für die Zukunft?

Bernd Tittel: Die Pläne für die Zukunft sind noch nicht so konkret. Ich gucke mal von Tag zu Tag und schaue, was kommt. Es gibt viele Dinge, die man nicht vorhersehen kann.

Tobias Giebler: Gibt es noch etwas, das du unseren Lesern mit auf den Weg geben möchtest?

Bernd Tittel: Ja, vor allem: Lasst euch impfen! Das ist das Wichtigste. Die Krankheit ist echt nicht zu unterschätzen.

Tobias Giebler: Vielen Dank, Bernd, dass du uns so offen von deinen Erfahrungen berichtet hast. Wir wünschen dir alles Gute auf deinem weiteren Weg der Genesung.
Bernd Tittels Erfahrungen mit dem Bettfahrrad auf der Intensivstation

Tobias Giebler: Bernd, auf der Intensivstation hast du auch mit dem Bettfahrrad trainiert. Hast du da Erinnerungen dran, wie war das für dich?

Bernd Tittel: Es war sehr motivierend. Dass man sich auch im Liegen bewegen kann. Für mich war das ein Stück vorwärts. Ich kenne ja diese Betätigung. Es ist ja eine beliebte Sportart. Dass man dies auch auf der Intensivstation machen kann, fand ich erstaunlich. Toll war, dass man es mir gut erklärt hat und das Training leistungsgerecht eingestellt wurde für mich. Da haben die Therapeuten stets Sorge für getragen. So hatte das Training einen hohen Nutzen für mich!

Tobias Giebler: Ist dir klar gewesen, wofür man trainiert mit dem Bettfahrrad?

Bernd Tittel: Für mich war das eine Art der Mobilisierung. Wenn ich getreten habe, wurden meine Beine gebeugt und gestreckt - wenn auch mit elektrischer Unterstützung. Und mit Widerstand war es im Verlauf dann ein Aufbautraining für meine Muskeln. Mir war klar: ohne Beinmuskulatur, kein Stehen und kein Gehen! Die Muskulatur, der Kreislauf, alles kam durch das Training wieder in Schwung.
Tobias Giebler: Eine schöne Zusammenfassung und erstaunlich, dass du dies als Patient auch so wahrgenommen hast. Mir ist es immer wichtig zu vermitteln, warum und für was man die einzelnen therapeutischen Maßnahmen nutzt. Das Bettfahrrad hat das Potential den Kraftzuwachs zu beschleunigen und die Gehfähigkeit nachweislich zu verbessern.
Das Bettfahrrad hat das Potential den Kraftzuwachs zu beschleunigen und die Gehfähigkeit nachweislich zu verbessern.
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Author
Tobias Giebler
Bereichsexperte Intensivmedizin und Neurochirurgie, Universitätsklinikum Tübingen
Tobias Giebler absolvierte im Jahr 2013 sein Examen zum Physiotherapeuten an der Universitätsklinik Freiburg. Durch seinen mehrjährigen Einsatz im Rettungsdienst als Rettungssanitäter brachte er bereits Kenntnisse im Umgang mit Patienten auf der Intensivstation in seine physiotherapeutische Ausbildung mit. Seit nun 9 Jahren beschäftigt er sich intensiv mit dem Thema Frühmobilisation. Er arbeitet an der Universitätsklinik Tübingen im Therapiezentrum, ist seit Mitte letzten Jahres stellvertretender Bereichsexperte und seit dem Jahr 2023 Bereichsexperte für die Bereiche Intensivmedizin und Neurochirurgie.
References:

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