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Therapie & Praxis
Das „Silver Gym“-Konzept

KÖRPERWERK Südbaden: Wenn Therapie neue Wege geht – und Menschen bewegt

Author
Armin Brucker
Physiotherapeut und Inhaber der Praxis Körperwerk Frei­burg
Mit dem Konzept „Silver Gym“ verfolgt das Team von KÖRPERWERK Südbaden das Ziel, Physiotherapie in Pflegeeinrichtungen neu zu denken – systematischer, wirksamer und sozial eingebettet. Im Mittelpunkt steht die aktive Be­we­gungstherapie mithilfe medizinischer Trainings­geräte, darunter der THERA-Trainer tigo für das Ausdauertraining, der THERA-Trainer balo für die Stehfähigkeit und ein Seilzuggerät zur Kräftigung.

Ein Beispiel für die erfolgreiche Umsetzung findet sich im Max-Josef-Metzger-Haus in Umkirch, wo Senioren im Rahmen ihrer ärztlich verordneten Physiotherapie regelmäßig an den Geräten trainieren – teilweise auch in Zweiergruppen. So entsteht nicht nur eine Verdopplung der Therapiezeit auf bis zu 40 Minuten, sondern auch Raum für soziale Interaktion. Die Maßnahme entlastet gleichzeitig Pflegepersonal und ermöglicht gezielte Alltagsmobilität – etwa beim Erhalt von Stehfähigkeit, Gleichgewicht oder Gehfähigkeit.

„Wir sehen eine deutliche Steigerung der Thera­piequalität und Lebensfreude – und das bei über­schaubarem Personaleinsatz“, sagt Armin Brucker, Ideengeber und Betreiber von KÖRPERWERK Südbaden.

Das Angebot ist neben dem Max-Josef-Metzger-Haus mittlerweile auch in vier weiteren Pflegeeinrichtungen verfügbar und soll perspektivisch weiter wachsen. Im Interview mit Armin Brucker erfahren wir mehr über die Hintergründe des Konzeptes und die Zukunftspläne.

Jakob Tiebel: Wie ist die Idee zum „Silver Gym“ entstanden? Gab es ein konkretes Problem, das Sie lösen wollten?

Armin Brucker: Der Ausgangspunkt war ganz pragmatisch: Pflegeeinrichtungen haben unsere Praxis kontaktiert, weil sie Physiotherapie vor Ort brauchten. Ich habe das dann übernommen – zunächst ganz klassisch. Mit der Zeit kamen aber immer mehr Fragen auf, etwa zur Qualität der Versorgung. Die war objektiv betrachtet durchaus solide, aber es entstand in mir eine Vision: Wie könnte man Physiotherapie für alte Menschen ganz neu denken – umfassender, systemischer, nachhaltiger? Das war der Startschuss, das Ganze auf breitere Beine zu stellen. Ich wollte weg vom reinen „Abarbeiten“ hin zu einem Ansatz, der wirklich etwas bewegt – körperlich und auch sozial. Wir wissen aus der Evidenz: Menschen brauchen deutlich mehr Bewegung, als sie im Pflegealltag bekommen. Und genau das ist das verbindende Element im Silver Gym. Entscheidend war auch: Es muss einfach sein – für die Therapeuten, für das Personal, für die Bewohner. Es darf nicht noch mehr Komplexität erzeugen, sondern soll Entlastung bringen.

Jakob Tiebel: Was war Ihnen bei der Entwicklung des Konzepts besonders wichtig?

Armin Brucker: Wir wollten ein Konzept, das die Grundfähigkeiten älterer Menschen erhält und stärkt. Deshalb haben wir eine gezielte Auswahl an Geräten getroffen: für das Herz-Kreislauf-System, für die Kraft, für die Stehfähigkeit. Und diese Geräte sollten nicht einfach nur da stehen, sondern Teil eines strukturierten Konzepts sein. Konkret setzen wir dabei auf THERA-Trainer Geräte – Bewegungstrainer für Kraft und Ausdauer sowie Balance-Trainer für Gleichgewicht und Koordination im Stand. Diese medizinischen Trainingsgeräte sind dabei nicht Selbstzweck, sondern eingebettet in ein therapeutisches Gesamtkonzept. Die Geräte sind mit einer Software verbunden. Das sorgt für eine gezielte Steuerung – und bringt durch Gamification auch Unterhaltung und Motivation ins Spiel. Uns war auch wichtig: Das Ganze muss für den Alltag funktionieren – also möglichst ohne Mehraufwand, dafür mit echtem Nutzen.

Jakob Tiebel: Was unterscheidet das „Silver Gym“ von klassischer Einzeltherapie?

Armin Brucker: Der große Unterschied liegt in der konzeptionellen Herangehensweise. Das Silver Gym ist nicht einfach nur ein Trainingsraum mit Geräten, sondern ein klar definierter therapeutischer Rahmen. Innerhalb dieses Rahmens entstehen Strukturen, Verbindlichkeit – und vor allem: eine soziale Plattform. In der klassischen Physiotherapie ist die Einzelbehandlung oft isoliert. Im Silver Gym trainieren zwei oder manchmal auch mehr Personen gemeinsam. Das schafft Interaktion, Austausch und Motivation. Die soziale Komponente ist ein zentraler Teil des Konzepts. Jeder Patient wird individuell betreut – mindestens für die verordnete Zeit seiner Einzeltherapie. Aber dadurch, dass die Bewohner in Gruppen kommen, bleiben sie faktisch mindestens doppelt so lange. Und sie sind damit in der Regel auch viel länger aktiv, weil sie die gesamte Zeit über die Möglichkeit haben, sich zu bewegen und aktiv mitzumachen. Dadurch schaffen wir häufig eine Verdoppelung der Therapiezeit für einzelne Bewohner – ohne signifikanten Mehraufwand. Ein konzeptioneller Ansatz, der für alle gewinnbringend ist und mehr leistet als eine klassische Einzeltherapie.

Jakob Tiebel: Wie sieht ein typischer Trainingstag im Silver Gym aus? Wer wird wie eingebunden?

Armin Brucker: Unsere Mitarbeiter sind meist einen halben Arbeitstag in einem Pflegeheim tätig. Die Bewohner werden dann in den Kleingruppen individuell betreut – das ist unser Standardsetting. Welche Übungen gemacht werden, entscheidet immer der Therapeut vor Ort. Das ist mitunter auch tagesformabhängig und muss immer wieder geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. Aber optimalerweise werden immer mindestens zwei Übungen und Trainingsziele miteinander kombiniert: zum Beispiel Herz-Kreislauf und Kraft oder Kraft und Stehfähigkeit. Wichtig ist anzumerken, dass natürlich nicht alle Bewohner im Silver Gym betreut werden können. Wir prüfen vorher genau: Gibt es motorische oder kognitive Kontraindikationen? Ist jemand bettlägerig? Es braucht gewisse Einschlusskriterien. Wenn diese erfüllt sind, erfolgt die Zuweisung. Wir schauen dann, was funktionell sinnvoll ist – und was individuell erreichbar scheint. Es gibt dabei keine starren Pläne, sondern eine Kombination aus therapeutischem Ermessen und pragmatischer Einordnung.

Jakob Tiebel: Welche Vorteile bieten die Geräte aus therapeutischer Sicht? Gibt es Beispiele für spürbare Fortschritte bei Bewohnern?

Armin Brucker: Die Geräte helfen uns, klare Vorgaben zu machen – z. B. ein gezieltes Bein- oder Armtraining. Für die Therapeuten bedeutet das eine Entlastung, weil sie nicht permanent manuell anleiten oder sichern müssen. Ein weiterer, oft unterschätzter Aspekt: Gerade bei älteren Menschen wirkt die spielerische Komponente enorm motivierend. Sie nehmen die Herausforderung dann gerne an und trainieren automatisch intensiver und länger. Es gibt zahlreiche Beispiele für Fortschritte. Besonders eindrucksvoll sind Fälle aus der Kurzzeitpflege, bei denen Bewohner nach mehreren Wochen Training wieder fitter in ihr Zuhause zurückkehren konnten. In einem Fall sagte eine Pflegekraft wörtlich: „Sie haben einem Bewohner, der eigentlich nur noch sterben wollte, das Leben zurückgegeben.“ Ob das allein an unserem Konzept lag, kann man natürlich diskutieren – aber es war definitiv ein wichtiger Beitrag im Gesamtkontext, denn Mobilität ist ein wesentlicher Beitrag zur Unabhängigkeit und Selbstständigkeit im Alltag.

Jakob Tiebel: Wie gelingt der Einstieg für neue Bewohner? Gibt es Hürden in der Akzeptanz oder im Handling?

Armin Brucker: Wir sehen keine grundsätzlichen Hürden – weder in der Bedienung noch in der An­nahme. Natürlich begegnen uns gelegentlich Vorbe­halte, vor allem aufgrund eines hartnäckigen Stigmas: „Geräte und alte Menschen – das passt nicht.“ Aber das entspricht nicht der Realität. Genauso wenig wie das verbreitete Bild, die Geriatrie sei ein im wahrsten Sinne des Wortes „sterbenslangweiliges“ Feld, in dem ohnehin nichts mehr erreicht werden könne. Das ist schlichtweg falsch – und es ist schade, dass dieses Bild in der Öffentlichkeit oft so präsent ist. Der alternde, multimorbide Mensch ist in der therapeutischen Arbeit ein ausgesprochen spannender Patient. Die Zielsetzung mag sich von anderen Fachbereichen unterscheiden – hier geht es häufiger um den Er­halt von Fähigkeiten als um vollständige Wieder­her­stellung. Aber das macht die Arbeit nicht weniger bedeutungsvoll. Ich sehe und weiß, was wir den hochaltrigen Menschen mit unserem Konzept geben. Ich stehe voll und ganz dahinter und erlebe täglich, wie gut es funktioniert. Natürlich gibt es Momente
der Unsicherheit – zum Beispiel, wenn jemand das erste Mal im Balance-Trainer steht. Diese Angst entsteht nicht durch das Gerät, sondern durch die ungewohnte Situation und das oft verlorengegangene Gefühl, längere Zeit sicher stehen zu können. In der Regel verfliegt diese Angst sehr schnell.

Jakob Tiebel: Wie reagiert das Pflegepersonal auf die Zusammenarbeit und Integration der Bewe­­gungseinheiten?

Armin Brucker: Die Akzeptanz ist dort hoch, wo wir frühzeitig informieren und das Pflegepersonal aktiv einbinden. Wir stellen das Konzept vor, erklären unsere Arbeitsweise – und dann funktioniert die Zusammenarbeit auch. Entscheidend ist: Die Ein­richtung muss von Anfang an verstehen, dass das Silver Gym keine Spielerei ist, sondern ein klar strukturiertes, therapeutisch fundiertes Konzept. Dort, wo dieses Verständnis vorhanden ist und die Häuser mitziehen, läuft es reibungslos. Das Feedback ist dabei manchmal eher zurückhaltend. Da heißt es oft einfach nur: „Läuft.“ Und das gilt dort bekanntlich schon als großes Lob (lacht). Und mal ehrlich: Wenn das Konzept keinen Mehrwert bringen würde, würden die Einrichtungen es nicht so konsequent mittragen.

Jakob Tiebel: Gibt es messbare Effekte oder qualitative Beobachtungen, die die Wirksamkeit des Konzepts unterstreichen?

Armin Brucker: Aktuell führen wir keine umfassen­den Messungen durch. Stattdessen arbeiten wir mit einfachen, praxisnahen Assessments und dokumen­tieren qualitative Veränderungen. Dabei ist es wichtig, eine realistische Perspektive einzunehmen: Nicht alle Bewohner werden durch das Training objektiv „besser“. Aber viele bauen langsamer ab – und genau das ist oft der eigentliche Erfolg. Diese Form von Stabilität ist schwer messbar, aber mit einfachen Mitteln können wir sie sichtbar machen. Natürlich ist Evaluation ein wichtiges Thema für die Zukunft. Gleichzeitig müssen wir darauf achten, dass das Konzept nicht durch übermäßige Komplexität an Praxistauglichkeit verliert. Die Stärke des Silver Gym liegt gerade in seiner Einfachheit. Wenn wir diesen Ansatz zu stark verkomplizieren, steigen Aufwand und Ressourcenbedarf – und das würde das Modell schnell unattraktiv und schwer umsetzbar machen. Genau in diesem Spannungsfeld bewegen wir uns: zwischen dem berechtigten Anspruch auf Wirksamkeitsnachweis und der Notwendigkeit, praxistauglich zu bleiben. Wir sind stetig dran das kritisch abzuwägen und auszubalancieren.

Jakob Tiebel: Welche nächsten Schritte planen Sie mit dem Silver Gym? Gibt es Erweiterungspläne?

Armin Brucker: Ja, wir möchten das Konzept gezielt weiterentwickeln und skalieren. Konzeptionell sind wir mittlerweile gut aufgestellt, und unsere bisherigen Erfahrungen bestätigen den eingeschlagenen Weg. Das Potenzial ist noch groß – mit „großer Klappe“ gesagt: nahezu unbegrenzt. Die eigentlichen Grenzen liegen nicht in therapeutischen oder konzeptionellen Fragen, sondern sind systemischer Natur – etwa bei den personellen Ressourcen oder der Finanzierung. Gleichzeitig bewegen wir uns in einem nahezu krisensicheren Wachstumsmarkt. Die demografische Entwicklung und der schleichende Übergang zur hochaltrigen Gesellschaft werden in Zukunft genau das verstärkt einfordern, was wir heute bereits pionierhaft aufgebaut haben – und nun Schritt für Schritt weiter ausrollen.

Jakob Tiebel: Was würden Sie Kollegen raten, die ein ähnliches Konzept etablieren möchten?

Armin Brucker: Dranbleiben, mutig sein, Ideen ausprobieren – und dann konsequent umsetzen. Sich Menschen suchen, die an das Konzept glauben und Partner, die es mittragen. Das Wichtigste ist aber wirklich: ins Tun kommen. Ich treffe so viele Leute mit großartigen Ideen – aber letztlich gehört die Welt denen, die den Mut haben, ihre Ideen in die Praxis zu bringen. Das ist mein Rat an alle, die mit dem Gedanken spielen, ein solches Konzept umzusetzen.

Jakob Tiebel: Wenn Sie an einen besonders schönen Moment im Silver Gym zurückdenken – welcher kommt Ihnen da in den Sinn?

Armin Brucker: Da gibt es viele. Aber einer ist besonders hängengeblieben – nicht wegen seiner Emotionalität, sondern wegen seiner Echtheit. Ein blinder Bewohner nimmt meine Hand und gibt mir einen Handkuss. Ohne Worte, ohne Inszenierung. Einfach Dank, direkt aus dem Herzen. Das war ein stiller, aber starker Moment. Und er bestätigt mich jedes Mal in dem, was wir für die Menschen tun.



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Author
Armin Brucker
Physiotherapeut und Inhaber der Praxis Körperwerk Frei­burg
Armin Brucker ist Physio­the­ra­peut seit 1997. Zehn Jahre tätig als angestellter Physiotherapeut und Therapieleiter an der Moos­wald­klinik Freiburg (1997–2007), an­schließend freiberuflich (2007–2009). Seit 2009 selbstständig mit eigener Praxis Körperwerk Frei­burg. Erweiterung des Praxisnetz­werks mit Körperwerk Emmen­dingen GmbH (2017), Körperwerk Waldkirch (2018), Körperwerk Rheinhausen (2021) sowie einem zweiten Standort in Freiburg (2025).
Author
Jakob Tiebel
Unternehmensberater Gesundheitswesen
Jakob Tiebel, Ergotherapeut, Studium in angewandter Psychologie mit Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft. Klinische Expertise durch frühere therapeutische Tätigkeit in der Neurorehabilitation. Forscht und publiziert zum Theorie-Praxis-Transfer in der Neurorehabilitation und ist Inhaber von einer Agentur für digitales Gesundheitsmarketing.
References: