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Wissenschaft
Kombinationstherapien – Synergien durch Bewegungstherapie besser nutzen

Multimodale Therapiekonzepte verstehen und umsetzen: Wie koordinierte Kombinationstherapien mit integrierter Bewegungstherapie die Rehabilitation und Gesundheitsversorgung nachhaltig verbessern können.

Author
Jakob Tiebel
Unternehmensberater Gesundheitswesen
Kombinationstherapien gewinnen in der mo­dernen Medizin zunehmend an Bedeutung. Sie verbinden unterschiedliche therapeutische Mo­dalitäten gezielt miteinander, um additive und synergistische Effekte zu erzielen. Besonders Bewegungstherapie zeigt in vielen Fachgebieten systemische Wirkungen, die komplementär zu pharmakologischen, apparativen und psycho­so­zialen Interventionen wirken. Der vorliegende Beitrag beschreibt die wissenschaftlichen Grund­lagen, den Nutzen und die methodischen Her­ausforderungen solcher Konzepte. Dabei wird deutlich: Kombinationstherapien sind in vielen Fällen komplexe Interventionen, deren Erfolg entscheidend von der koordinierten Interaktion aller Elemente abhängt.
Einführung: Mehr als die Summe der Einzelteile
In der modernen Medizin rückt zunehmend ein integrativer Behandlungsansatz in den Vordergrund: Weg von isolierten Einzelinterventionen hin zu komplexen, interdisziplinär abgestimmten Therapieformen. Die Kombinationstherapie ist dabei ein zentrales Prinzip. Sie verbindet verschiedene therapeutische Ansätze gezielt miteinander, um additive und synergistische Effekte zu erzielen, die die Wirksamkeit einzelner Maßnahmen übertreffen können. Insbesondere Bewegungstherapie spielt in diesem Kontext eine bedeutsame Rolle, da sie systemisch auf zahlreiche Pathomechanismen ein­wirkt und – auch aufgrund des technologischen Fortschritts – mittlerweile in nahezu alle Fach­disziplinen integriert werden kann (vgl. Heft X).
Was versteht man unter Kombinationstherapie?
Kombinationstherapie bedeutet nicht einfach, meh­rere Therapien nebeneinander anzuwenden. Wäh­rend Einzelinterventionen isoliert spezifische Patho­mechanismen adressieren und auch parallele Verordnungen oft ohne enge Abstimmung neben­einander laufen, zielt die Kombinationstherapie auf ein gezielt koordiniertes Zusammenwirken unter­­schiedlicher Maßnahmen. Hierbei werden ver­schie­dene therapeutische Modalitäten hinsichtlich ihres zeitlichen Ablaufs, ihrer Wirkmechanismen, Dosie­rung und Zielsetzung aufeinander abgestimmt, so­dass sie sich gegenseitig funktionell und biologisch verstärken.

Bewegungstherapie nimmt in diesen Konzepten eine Schlüsselrolle ein, da sie sowohl systemisch als auch spezifisch wirkt: Sie beeinflusst Muskelkraft, kardiovaskuläre Leistungsfähigkeit, neuroplastische Prozesse, Immunfunktionen, psychische Stabilität sowie zahlreiche zelluläre und molekulare Re­gu­lationssysteme.
Kombinationstherapien sind komplexe Interventionen
Kombinationstherapien sind in vielen Fällen kom­plexe Interventionen im engeren wissenschaftlichen Sinne. Laut den Rahmenwerken der UK Medical Research Council (MRC) zeichnen sich komplexe Interventionen durch mehrere miteinander inter­agierende Komponenten aus. Dazu gehören nicht nur die Therapieverfahren selbst, sondern auch Kontextfaktoren wie die beteiligten Berufsgruppen, organisatorische Abläufe, Patientenbeteiligung, Ad­härenz und Settingbedingungen. Entscheidend ist, dass die Wirkung solcher Interventionen nicht nur durch die Summe ihrer Bestandteile entsteht, sondern maßgeblich durch deren Interaktion geprägt wird (Craig et al., 2008; Skivington et al., 2021).

Methodisch stellen komplexe Interventionen be­sondere Anforderungen an ihre Entwicklung, Eva­luation und Implementierung. Klassische rando­misierte kontrollierte Studien (RCTs) reichen oft nicht aus, um die komplexen Wirkzusammenhänge vollständig zu erfassen. Ergänzend werden zu­nehmend Process Evaluations, Realist Evaluations, Cluster-RCTs und Mixed-Methods-Ansätze ein­gesetzt, um sowohl die Wirksamkeit als auch die Wirkmechanismen, Kontextabhängigkeiten und Im­ple­mentierungsfaktoren systematisch zu untersuchen (Hawe et al., 2004; Peters et al., 2013). Bewegungstherapie als Bestandteil solcher kom­plexen Kombinationstherapien kann deshalb nicht isoliert betrachtet werden, sondern muss immer in den Gesamtprozess der Therapie eingebettet und auf Kontext und Patientenbedürfnisse abgestimmt werden.
Anwendung komplexer Kombinationstherapien in der Praxis
Intradialytisches Training: Bewegung während der Hämodialyse
Chronisch niereninsuffiziente Patienten unter Hä­mo­dialyse leiden häufig an kardiovaskulärer Dekonditionierung, Sarkopenie und Fatigue. Intradialytisches Training (IDT) nutzt die Dialysezeit für therapeutische Bewegungseinheiten direkt am Dialyseplatz, häufig mittels Fahrradergometer oder motorunterstützten Bewegungstrainern, wie dem THERA-Trainer bemo.

Metaanalysen zeigen signifikante Verbesserungen in maximaler Sauerstoffaufnahme, Reduktion in­flammatorischer Marker (z. B. CRP, TNF-α), Gefäßelastizität sowie Lebensqualität (Zhang et al., 2019; Heiwe & Jacobson, 2011). IDT stellt eine komplexe Intervention dar, da sowohl die medizinisch-technische Durchführung als auch die interprofessionelle Abstimmung zwischen Nephro­logen, Pflege und Physiotherapie erforderlich sind. Gleichzeitig muss die Therapie an den individuellen Gesundheitszustand des Patienten adaptiert werden.

Ein herausragendes Beispiel für die Dialyse Trainings Therapie (DiaTT) dokumentiert die gleichnamige DiaTT Studie (vgl. Heft X). Eine groß angelegte, multizentrische, cluster-randomisierte randomisierte Studie zur Wirkung von Sport während der Dialyse.

Orthopädie: Knochenheilung durch Stoßwellentherapie und Training
Bei Pseudarthrosen zeigt sich die Wirksamkeit kombinierter extrakorporaler Stoßwellentherapie (ESWT) mit funktionellem Bewegungstraining besonders deutlich. Während ESWT angiogenetische und osteogene Heilungsprozesse stimuliert (z. B. VEGF, BMP-2), aktiviert die mechanische Belas­tung knochenadaptierende Signalwege über die Mechanotransduktion. Studien zeigen höhere Hei­lungsraten und kürzere Konsolidierungszeiten bei kombiniertem Vorgehen (Schaden et al., 2015; Wang et al., 2020).

Auch hier handelt es sich um eine komplexe In­tervention, da die Behandlung patientenindividuell dosiert, im Heilungsverlauf kontinuierlich angepasst und interdisziplinär abgestimmt werden muss.

Neurologische Rehabilitation: Elektrostimulation kombiniert mit Bewegung
In der Neurorehabilitation — beispielsweise nach Schlaganfall — verstärken sich zum Beispiel funktionelle Elektrostimulation (FES) und aktives Bewegungstraining gegenseitig. Elektrostimulation aktiviert periphere Nerven und Muskeln, während Bewegung neuroplastische Reorganisation fördert. Zahlreiche Studien zeigen verbesserte Mobilität, Muskelkraft und funktionelle Selbstständigkeit bei kombinierter Anwendung (Howlett et al., 2015; de Sousa et al. 2016).

Da neurologische Defizite, Motivation und kog­nitive Ressourcen stark variieren, sind adaptive Therapiepläne notwendig, die die Komplexität der Intervention nochmals erhöhen.

Kardiologie: Bewegung als integrativer Bestandteil der Herzinsuffizienztherapie
Auch die Therapie der Herzinsuffizienz folgt heute einem klaren multimodalen Prinzip. Medikamente wie ACE-Hemmer, Betablocker und SGLT2-In­hibitoren verbessern kardiale Funktionen, während Bewegungstraining die periphere Perfusion, den Muskelstoffwechsel und die Belastungstoleranz optimiert (McDonagh et al., 2021; Taylor et al., 2019). Bewegung ist in den aktuellen ESC-Leitlinien fest als Teil der Standardtherapie verankert.

Die interdisziplinäre Abstimmung von Medika­menten­dosierungen, Trainingsintensität, Monitoring und Patientenedukation illustriert die komplexe Natur dieser Intervention eindrücklich.

Onkologische Rehabilitation: Bewegung ergänzt systemische Tumortherapien
Bewegung reduziert therapiebedingte Nebenwir­kungen wie Fatigue, Polyneuropathien und depressive Symptome, beeinflusst aber möglicherweise auch direkt das Tumorgeschehen durch immunologische und inflammatorische Effekte (Campbell et al., 2019; Koelwyn et al., 2017). Viele onkologische Leitlinien empfehlen daher die strukturierte Integration von Bewegungstherapie bereits während der aktiven Tumorbehandlung.

Auch hier stellt sich die Herausforderung, die Bewegungstherapie dynamisch an Therapiephasen, Nebenwirkungen und individuelle Ressourcen der Patienten anzupassen — ein klassisches Beispiel für eine komplexe therapeutische Intervention.

Intensivmedizin: Frühmobilisation unter Beatmung
In der Intensivmedizin hat sich die Frühmobilisation von beatmeten Patienten als effektive Strategie erwiesen, um Immobilisationsfolgen wie ICU-acquired weakness, Delir und prolongierte Beat­mungszeiten zu reduzieren (Schweickert et al., 2009). Die Umsetzung solcher Programme erfor­dert interdisziplinäre Abstimmungen zwischen Intensivmedizin, Physiotherapie, Pflege, Ergotherapie und Angehörigen — wiederum ein komplexes Zusammenwirken multipler Komponenten.

Fazit: Komplexität verstehen, Synergien nutzen
Kombinationstherapien sind keine bloße Anein­ander­reihung einzelner Maßnahmen, sondern hoch­ komplexe Interventionen, bei denen thera­peu­tische Elemente, Patientenfaktoren und Kontext­bedingungen dynamisch miteinander interagieren. Insbesondere die Bewegungstherapie nimmt in diesen multimodalen Konzepten eine zentrale Rolle ein – als systemischer, funktioneller und psychologischer Wirkverstärker mit nachgewiesenem Zusatznutzen.

Die Entwicklung und erfolgreiche Umsetzung solcher komplexen Therapiekonzepte erfordert eine präzise Planung, interdisziplinäre Zusammenarbeit, hohe Therapietreue, patientenzentrierte Individualisierung sowie kontinuierliches Monitoring.

Innovative Versorgungszentren integrieren diese Prin­zipien zunehmend in ihre Grundstruktur und schaffen sogenannte Healing Environments – architektonisch wie organisatorisch gestaltete Umgebungen, die gezielt darauf ausgerichtet sind, Heilungsprozesse zu fördern und komplexe Interventionen im klinischen Alltag effektiv umsetzbar zu machen.

Ein zentrales Element dabei ist der Einsatz moderner Medizintechnik: Technologische Assistenzsysteme und smarte Bewegungstherapiegeräte kommen ver­mehrt zum Einsatz, um individuelle Therapieziele sicher, dosiert und kontextgerecht zu unterstützen – vom Akutsetting über die Frührehabilitation bis hin zur Nachsorge. Diese Lösungen ermöglichen eine präzise Steuerung, Verlaufsdokumentation und adaptive Anpassung innerhalb des Gesamtkonzepts und eröffnen neue Handlungsspielräume für die praktische Umsetzung evidenzbasierter Kombina­­tions­therapien.

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Author
Jakob Tiebel
Unternehmensberater Gesundheitswesen
Jakob Tiebel, Ergotherapeut, Studium in angewandter Psychologie mit Schwerpunkt Gesundheitswirtschaft. Klinische Expertise durch frühere therapeutische Tätigkeit in der Neurorehabilitation. Forscht und publiziert zum Theorie-Praxis-Transfer in der Neurorehabilitation und ist Inhaber von einer Agentur für digitales Gesundheitsmarketing.
References:
  1. Craig P et al. Developing and evaluating complex interventions: the new Medical Research Council guidance. BMJ 2008;337:a1655. Skivington K et al. Framework for the development and evaluation of complex interventions. BMJ 2021;374:n2061.
  2. Hawe P et al. Complex interventions: how „complex“ are they? BMJ 2004;328:346–350.
  3. Zhang L et al. Effects of intradialytic exercise on hemodialysis patients: a systematic review. Am J Nephrol 2019;50(3):209-218.
  4. Heiwe S, Jacobson SH. Exercise training in adults with CKD: a systematic review and meta-analysis. Am J Kidney Dis 2011;58(3):315-327.
  5. Schaden W et al. Extracorporeal shockwave therapy in musculoskeletal disorders: a review. J Orthop Surg Res 2015;10:4. Wang CJ et al. Extracorporeal shockwave therapy in bone nonunions: a review. Int J Surg 2020;80:263-268.
  6. Howlett OA et al. Functional electrical stimulation improves activity after stroke: a systematic review. Stroke 2015;46(12):2060-2067. de Sousa LG et al. Effects of FES-assisted gait training on functional mobility in chronic stroke. Arch Phys Med Rehabil 2016;97(5):665-672.
  7. McDonagh TA et al. 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of heart failure. Eur Heart J 2021;42(36):3599-3726. Taylor RS et al. Exercise-based rehabilitation for heart failure. Cochrane Database Syst Rev 2019;4:CD003331.
  8. Campbell KL et al. Exercise guidelines for cancer survivors. Med Sci Sports Exerc 2019;51(11):2375-2390.
  9. Koelwyn GJ et al. Exercise-dependent regulation of the tumour microenvironment. Nat Rev Cancer 2017;17(10):620-632.
  10. Schweickert WD et al. Early physical and occupational therapy in mechanically ventilated patients: a randomised controlled trial. Lancet 2009;373(9678):1874-1882.