
Dieser Artikel erläutert evidenzbasierte Therapieansätze für posturale Störungen nach neurologischen Erkrankungen. Er beschreibt typische Störungen in Motorik, Sensorik und Kognition sowie erfolgreiche Interventionsmethoden und die Anwendung des Interaktionsmodells in der Therapie.

Alle Aspekte des Individuums, also Motorik, Sensorik und Kognition können bei neurologischen Störungen betroffen sein. Dementsprechend können die folgenden Störungsbilder (nach neurologischen Erkrankungen) anhand des Interaktionsmodells zugeordnet werden.
-mangelnde antigravitäre Muskelaktivität
-eingeschränkte posturale Synergien (z. B. Sprunggelenksstrategie (OSG), Schutzschritte)
-beitragend können Einschränkungen der Gelenksbeweglichkeit (häufig durch adaptive Phänomene der Muskulatur, v. a. im Bereich des OSG) eine Rolle spielen
-eine eingeschränkte Oberflächen- und Tiefensensibilität v. a. im Bereich der Füße
-eine eingeschränkte Fähigkeit zur sensorischen Gewichtung
-ein stark verändertes Körperschema (z. B. bei Patienten, die pushen oder einen Neglekt aufweisen)
-eine eingeschränkte Dual-Task-Fähigkeit
-eine verminderte Problemlösefähigkeit
-eine verminderte Selbstwirksamkeit
-Unsicherheiten beim freien Stehen
-vermehrter Einsatz der oberen Extremitäten (OE) (festhalten, Hilfsmittel)
-eingeschränkte OSG-Strategie, vermehrter Einsatz der Hüftgelenksstrategie
-(sehr) eingeschränkte Stabilitätsgrenzen (Konus der Stabilität) im Stehen
-eingeschränkte, verlangsamte laterale Gewichtsverlagerung, v. a. auf die mehr betroffene Seite (Asymmetrie)
-Unfähigkeit zum Einbeinstand
-verlangsamter Wechsel vom Zweibein- in den Einbeinstand
-Blickfixation (Visusabhängigkeit)
Das ist natürlich stark abhängig vom individuellen (motorischen, sensorischen und kognitiven) Störungsmuster. Für bestimmte Patienten kann schon die Steady-State-Situation schwierig sein. Bei anderen sind es v. a. dynamisch-antizipative und/oder reaktive Aufgaben. Untersuchungen weisen darauf hin, dass Gleichgewichtsunsicherheiten bis hin zu Stürzen häufig bei Transfers, beim Gehen (und Drehen), beim Übergang Sitz – Stand, aber auch beim Stehen auftreten können [3, 5, 20, 21].
Umweltfaktoren, wie Unebenheiten, labile und/oder schräge Unterstützungsfläche [14] sowie eingeschränkte Lichtverhältnisse [12] haben ebenfalls einen Einfluss auf das Gleichgewichtsverhalten und sollten deshalb in der Therapie berücksichtigt werden.
Die unterschiedlichen Störungsbilder, die oben genannt wurden, können therapeutisch beeinflusst werden. Es liegt Evidenz für die Wirksamkeit von Interventionen vor, die bestimmte Aspekte der Motorik, Sensorik oder Kognition speziell trainieren.
Um die Interventionen zu strukturieren, kann das Interaktionsmodell einen sinnvollen Rahmen bieten (vgl. Ausgabe I/2018).
-posturale Synergien (OSG-Strategie):
-verbesserte Durchführung [6, 16]
-erhöhte Geschwindigkeit [19]
-antizipative posturale Kontrolle: verbesserte Gewichtsverlagerungen im Stand [25]
-Schutzschritte: verbesserte, schnellere Durchführung [15, 18]
Beispiele Evidenz für die Behandlung der kognitiven Komponente:
Dual-Task-Fähigkeit: Verbesserung [23]
Für die systematische und strukturierte Gestaltung eines Gleichgewichtstrainings wird die Anwendung einer sog. Taxonomie (Systematik) vorgeschlagen. Diese Systematik beruht auf dem Interaktionsmodell und bietet die Möglichkeit, über die gezielte Anwendung von Aufgaben- und Umweltparametern eine im höchsten Maße patientenzentrierte und zielführende Therapie anbieten zu können (s. Abb.1).
Diese Taxonomie ist auch die Grundlage der THERA-soft für die Standing & Balancing-Geräte von THERA-Trainer.
Die Taxonomie ist hervorragend kompatibel mit der aktuellen Evidenzlage. Sowohl Ergebnisse aus Einzelstudien als auch Schlussfolgerungen von Reviews [1, 2, 28, 29] und Empfehlungen aus Guidelines [8, 9, 17, 26] können problemlos in diese Systematik integriert werden.
Die KNGF Stroke Guideline (2014) vom holländischen Berufsverband für Physiotherapie beispielsweise gibt folgende Empfehlung: „Das Üben der Balance während verschiedener Aktivitäten verbessert die Balance im Sitzen und Stehen und die Durchführung grundlegender Aktivitäten des täglichen Lebens (ADL).“
Die Guideline der australischen Stroke Foundation (2017) schlägt vor, dass für Patienten, „die Schwierigkeiten mit dem Stehen haben, aufgabenorientiertes Üben der Stehbalance angeboten werden soll. Dieses kann u. a. die Durchführung funktioneller Aufgaben im Stand beinhalten.“
Die gemeinsame Grundlage beider Empfehlungen ist das aufgabenorientierte Vorgehen. Dieses besagt im Wesentlichen, dass direkt geübt werden soll, was sich verbessern soll. „Die Interventionen werden also so gestaltet, dass der/die Übende effiziente und effektive (aufgabenspezifische) Strategien entwickeln kann, um funktionelle, bedeutungsvolle und individuell relevante Aufgaben zu lösen.“ [13]. Unter Verwendung der Taxonomie kann ein aufgabenorientiertes Balancetraining systematisch, sinnvoll und individuell erstellt werden. Das Shaping (kontinuierliche und systematische Anpassung des Aufgabenniveaus an die aktuelle Leistungsfähigkeit des Übenden) als einer der wichtigsten Grundsätze des motorischen Lernens lässt sich ebenfalls spezifisch damit gestalten.


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