
Erfahren Sie, wie die Vertikalisierung einer Patientin im Wachkoma ihr Leben veränderte. Durch gezielte Therapien, innovative Hilfsmittel und unermüdliche Unterstützung wurde der Weg von der Pflegebedürftigkeit zur beruflichen und persönlichen Selbstständigkeit geebnet.

In der internationalen Fachliteratur ist nachzulesen, dass speziell durch Vertikalisierung
• die Vigilanz und das Bewusstsein positiv beeinflusst werden.
• die 7 Remissionsstufen (nach Gerstenbrand) schneller durchlaufen werden.
• Folgekomplikationen wie Spastik, Druckulcera, Kontrakturen, Dysphagien, Respiratorabhängigkeit etc. durch frühzeitige Mobilisierung ver-
mieden oder reduziert werden können.
• das Vegetativum u.a. Kreislaufstabilität, Lungen-
belüftung, Harnabfluß und Verdauung positiv beeinflusst werden.
• auch Osteoporose-Prophylaxe betrieben wird.
• maßgeblich Raum-Lage-Empfinden, Tiefensensibilität und Körperschema verbessert werden.
Im Dezember 2015 erlitt die Altenpflegerin und Stationsleitung S.S. beim Boxtraining eine Subarachnoidalblutung auf Grund der Ruptur eines Aneurysmas der A. communicans posterior rechts. Es wurde eine dekompressive Hemikraniektomie rechts und endovaskuläres Coiling durchgeführt sowie ein Shunt gelegt.
S.S. wurde im Februar 2016 wachkomatös nach Hause entlassen, der Ehemann sowie ein ambulanter Pflegedienst betreuten sie. Die Patientin erhielt zwei-mal wöchentlich Physiotherapie per Hausbesuch – sie wurde im Bett passiv durchbewegt. In diesem Zeitraum erfolgte der oben zitierte einzige Hausbesuch des niedergelassenen Neurologen mit seinem vernichtendem Urteil. Im März 2017 lernte ich die damals 42-jährige Mutter zweier schulpflichtiger Kinder in ihrer Eigentums-Dachgeschosswohnung eines Mehrfamilienhauses, in dem auch ihre Eltern und Geschwister mit Familien leben, kennen:
Tetraplegisch, linke Körperhälfte schlaff, rechte Körperhälfte spastisch gelähmt, mit Beugekontraktur des rechten Knies, Fehlstellungen durch Beugekontrakturen beider Sprunggelenke, zudem aphasisch aber selbstständig atmend und nicht tracheotomiert. Es war lediglich eine unzuverlässige Kommunikation über Augenzwinkern mit dem Ehemann möglich. Auffällig war auch das gestörte Raum-Lage-Empfinden der Patientin, welches sich durch ständiges Halt-Suchen / Anstoßen am Fußende des Pflegebettes äußerte, was wiederum zur Verschlechterung der Fehlhaltung beider Sprunggelenke sowie der Zunahme der Beugekontrakturen bds. führte.
Die beiden pubertierenden Kinder waren sehr verstört, der Ehemann völlig überfordert mit Haushaltsführung, Kindererziehung, Pflege und der angeblichen Perspektivlosigkeit seiner geliebten Ehefrau, die er auch als Partnerin schmerzlich vermisste.
• Training und Verbesserung von Ja / Nein-Kommunikation
• Tägliche Mobilisation in den vorhandenen Multifunktionsrollstuhl
• Kontrakturenbehandlung mit Johnstone-Druckmanschette
• Anbahnung von eigenaktiven Bewegungen
• Verordnung von Hilfsmitteln nach deren Erprobung
• Kontaktaufnahme und Vermittlung einer Logopädin
• Aufklärung und Anleitung der Angehörigen
• OrthoTech-Therapiestiefel mit einsteckbaren Stabilisatoren am Sprunggelenk und hochklappbaren Zehenkappen mit Klettverschluss, sodass spastisch verkrampfte Zehen von außen leichter gelockert und physiologisch platziert werden können.
• Headmaster Halskrause zur Unterstützung der Kopfkontrolle und Verbesserung des Blickkontaktes im Sitzen und Stehen.
• aufblasbare Johnstone-Druckmanschette zur Verbesserung der Wahrnehmung und zur Kontrakturenprophylaxe- bzw. Behandlung.
• Dank des Wechsels zu einem anderen Neurologen konnte S.S. nach einigen Wochen leihweise mit einem THERA-Trainer tigo Arm- und Beintrainer versorgt werden. Die Genehmigung durch die Krankenkasse erfolgte erst nach Widerspruch und Begründungen / Befürwortung durch den Neurologen und durch mich. Der Ehemann übte täglich mit S.S. am tigo Arm- und Beintrainer, wobei sie zunehmend wacher und motivierter eigenaktiv trainierte.
• Im Dezember 2017 erfolgte die 1. Vertikalisierung im Rahmen der Erprobung des Steh- und Balance-Trainers THERA-Trainer balo. Wegen ihrer schmerzhaften Beugekontrakturen und Fehlstellungen konnte die Patientin trotz der Therapie-Stiefel anfangs lediglich 5 Minuten stehen. Die vorhandenen Kontrakturen und Sprunggelenk-Fehlstellungen haben sich durch die Vertikalisierung verbessert, sodass sie bis zu den korrigierenden Operationen 15 – 20 Minuten am Stück stehen konnte. Trotz ihrer Schmerzen wollte meine Patientin immer wieder Stehen. Manchmal 3 x 5 Minuten hintereinander, mit Sitzpausen im Rollstuhl, weil ihr das Stehen eine neue Perspektive und Lebensmut gab. Dankenswerterweise konnte der Balance-Trainer über Weihnachten und den Jahreswechsel ausgeliehen werden, so dass S.S. eine lange Erprobungsphase ermöglicht wurde. Das Genehmigungsverfahren durch die Krankenkasse dauerte leider erneut viele Monate. Ich habe die Familienmitglieder und die Kolleginnen der Physiotherapie im Gebrauch des Balance-Trainers angeleitet, um eine maximale Nutzung zu ermöglichen.
Im April 2018 begann sie zu essen und zu trinken. Nach anfänglichem Verschlucken normalisierte sich auch dies durch logopädisches Training.
Im Juni 2018 erfolgte das operative Decken des Schädels mit einer künstlichen Kalotte. Diese optische Korrektur war extrem wichtig für ihr Selbst-bild als Frau. Auch ihre Kinder konnten sie jetzt wieder „ohne Grausen” ansehen.
Im August 2018 folgte die operative Korrektur der Beugekontrakturen beider Sprunggelenke und die Anfertigung von Unterschenkel-Orthesen mit Spezialstiefeln. Mit ihrer Physiotherapeutin übte unsere Patientin das Gehen am Rollator auf ihrem Balkon. Mit Hilfe der Balance-Funktion des balo-Trainers übten wir die Verbesserung ihres Gleichgewichts – z.B. durch Fangen eines Luftballons im Stand.
Im Oktober 2018 trainierte sie erstmals das Treppensteigen mit Hilfe ihrer Physiotherapeutin und ihres Mannes mit einer Unterarmgehstütze und Unterschenkel-Orthesen.
Im November 2018 wurde die PEG entfernt und im Dezember 2018 folgte die Entfernung des suprapubischen Katheters. Die Kontinenz hatten wir schrittweise mit Blasentraining durch Abklemmen des Katheters trainiert.
Im Rahmen einer sechswöchigen stationären Reha im Januar 2019 erlernte S.S. das freie Gehen ohne Orthesen.
Wieder zuhause erfolgte u.a. ein berufsvorbereitendes ergotherapeutisches Training von feinmotorischen Übungen in Kombination mit Trainingseinheiten zur Konzentration sowie der visuell-räumlichen Wahrnehmung. Zusätzlich übte Frau S. unter Ausschluss der Augenkontrolle ihr Raum-Lage-Empfinden nach Prof. Perfetti.
Im November 2019 absolvierte die Patientin ein erfolgreiches Praktikum auf einer geriatrisch internistischen Abteilung des Krankenhauses, an dem ihr jetziger Neurologe, welcher alle notwendigen Hilfsmittel, Operationen und Reha-Maßnahmen verordnete, als Chefarzt tätig gewesen war. Zum Dezember 2019 wurde S. S. in ein sechs-monatiges Arbeitsverhältnis mit 17 Wochenstunden im Schichtdienst übernommen.
Im Januar 2020 nahm sie einige Fahrstunden und bekam auch die fachärztlich-neurologische Erlaubnis, wieder Auto zu fahren – die verbliebenen diskreten Blickfeldeinschränkungen kann sie gut kompensieren.
Seit Dezember 2020 arbeitete Frau S. in einem unbefristeten Arbeitsverhältnis auf einer gerontopsychiatrischen Station eines anderen Krankenhauses – ihrem Wunsch-Arbeitsfeld – und sie boxt sogar wieder. 2021 absolvierte sie eine Palliativ-Care-Weiterbildung erfolgreich und ist jetzt zertifizierte Hospizhelferin.


- Neuro-psychologische Therapie nach Hirnschädigungen, G.Caprez, Rehabilitation und Prävention 17, Springer Verlag, 1984
- Der apallische Patient, Aktivierende Pflege und therapeutische Hilfe im Langzeitbereich, Christa Schwörer, Gustav Fischer Verlag, 1988
- Wieder Aufstehen, Frühbehandlung und Rehabilitation für Patienten mit schweren Hirnschädigungen, P. M. Davies, Springer Verlag, 1995
- Wege von Anfang an, Frührehabilitation schwerst hirngeschädigter Patienten, B. Lipp, W. Schlaegel, Neckar Verlag 1996
- Wachkoma, Betreuung, Pflege und Föderung eines Menschen im Wachkoma, P. Nydahl, Urban & Fischer, 2. Auflage 2007
- Langzeitbetreuung Wachkoma, Eine Herausforderung für Betreuuende und Angehörige, A. Steinbach, J. Donis, Springer Verlag, 2. Auflage 2011
- Schwerstbetroffene Patienten, Expertenbericht 01, J. Ehlers
- pdf-datei www.thera-trainer.de, 2017
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