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THERAPY-Magazin
Expertenbericht Haltungskontrolle

Erfahren Sie, wie Haltungskontrolle und funktionelle Aktivitäten gezielt trainiert werden können, um Gleichgewichtsstörungen bei Schlaganfallpatienten zu verringern.

Author
Marc Michielsen
Advanced Bobath Instructor
Ein integrierter Haltungskontrollmechanismus in unserem Körper verhindert, dass wir das Gleichgewicht verlieren und stürzen. Dabei kann die Haltungskontrolle reaktiv oder prädiktiv erfolgen, wobei gezieltes Training motorische und sensorische Strategien verbessern und damit Gleichgewichtsstörungen verringern kann. Im dritten Teil unseres Expertenberichts erfahren Sie mehr über funktionelle Aktivitäten.
Seit 2001 vertritt die International Classification of Functioning, Disablility and Health (ICF) der Weltgesundheitsorganisation eine modernere Position zu Konzepten wie „Gesundheit“ und „Behinderung“, indem sie berücksichtigt, dass jeder Mensch im Laufe seines Lebens aufgrund einer Änderung seines Gesundheitszustandes oder der Lebensumstände von einer mehr oder weniger starken Behinderung betroffen sein kann. Funktionelle Aktivitäten, also Aufgaben bzw. Handlungen zur Bewältigung von Umwelt- und Alltagsanforderungen, sind individuell verschieden. Bei der Rehabilitation von Schlaganfallpatienten ist seit Jahren ein Wandel von herkömmlichen Behandlungstechniken hin zu aufgabenspezifischen Trainingsverfahren zu beobachten. Dieses funktionelle Training wird durch zahlreiche evidenzbasierte Studien als Rehabilitationsform für Schlaganfallpatienten gestützt. Untersuchungen zeigen, dass Patienten stärker von der Rehabilitation profitieren, wenn dabei funktionelle Aufgaben zum Einsatz kommen. Da sie diese Übungen mit größerer Wahrscheinlichkeit im Alltag fortführen, erzielen diese Patienten auch bei der Nachsorge bessere Ergebnisse. Es handelt sich um ein stark patientenorientiertes Training; das Programm sollte also auf die Bedürfnisse des jeweiligen Patienten zugeschnitten werden. Um dessen Potenzial voll auszuschöpfen, muss sich jedes Programm an den individuellen Zielen des Patienten orientieren und sich auf sinnvolle Aufgaben zur Bewältigung seines Alltags konzentrieren. Daher bestimmt das Clinical Reasoning des Therapeuten unter Berücksichtigung der Wechselwirkungen zwischen Struktur/Funktion, Aktivität und Beteiligungsgrad nach Maßgabe des biopsychosozialen Modells der ICF die Therapie. Interventionen sollen aufgaben- und kontextspezifische Praktiken in Bereichen beinhalten, die für jeden Patienten sinnvoll sind, wobei das übergeordnete Ziel immer die funktionelle Selbstständigkeit des Patienten ist.
Bei der Wahl der Interventionen muss der Therapeut die drei Komponenten berücksichtigen, aus denen sich jede funktionelle Übung zusammensetzt: Patient, Aufgabe und Umgebung. Die Behandlungsrichtung wird durch Abwägung der Wechselwirkungen und Bedeutung dieser Aspekte bestimmt. In gewisser Weise ist der Therapeut also für den Ausgang der Rehabilitation verantwortlich.
Obwohl bekannt ist, dass ein enriched environment die spontane Genesung fördert, sind Schlaganfallpatienten die meiste Zeit des Tages allein und untätig
Enriched environment

Ein enriched environment zeichnet sich durch mehr Stimulation in Bezug auf neue Reize, vielfältige Handlungsmöglichkeiten und Belohnungen aus und fördert die spontane biologische Genesung. [2]
Vor diesem Hintergrund sind die Studienergebnisse alarmierend, die zeigen, dass Schlaganfallpatienten in unterschiedlichen Rehabilitationsumgebungen die meiste Zeit des Tages untätig und allein verbringen. Eine Auswertung von 24 Studien im Krankenhausumfeld ergab, dass Schlaganfallpatienten durchschnittlich 76 % des Tages mit Aktivitäten ohne therapeutischen Bezug oder mit geringer körperlicher Betätigung verbringen [4]. Bewegungsarme Phasen – Zeit, die im Sitzen oder Liegen verbracht wird – wirken sich negativ auf die Balancefähigkeit aus. Zur Behandlung gehört es darum auch, für ein verbessertes Therapieumfeld zu sorgen. Studien deuten darauf hin, dass subjektiv und objektiv wahrnehmbare Umgebungselemente die körperliche Aktivität stark beeinflussen können. Die Frage, welche Orte in einer Klinik Schlaganfallpatienten zu mehr körperlicher Aktivität anregen, erweist sich darum als wichtige Information, um zusätzliche Aktivitäten zu ermöglichen und längere bewegungsarme Phasen zu vermeiden. [3]
Man sollte sich immer wieder vor Augen halten, dass sich Menschen nicht in einem Vakuum bewegen. Sie leben in einer reizverstärkenden Umgebung (Küche, Bad, Garten usw.), wo ihnen zahlreiche Hilfsmittel zur Verfügung stehen. In diesen Räumen finden funktionelle Aktivitäten statt.
Kann sich ein Schlaganfallpatient nicht voll und ganz auf sein Gleichgewicht konzentrieren, wirkt sich das auf seine Balancefähigkeit aus.
Umgebungen können Haltungskontrolle fördern

Environmental enrichment („angereicherte Umge­bung“) meint eine Wohnumgebung, etwa „ge­schlossene Wohnbereiche“ oder Erkundungsräume, die im Vergleich zu herkömmlichen Wohnumgebungen dazu beiträgt, sensorische, kognitive und motorische Reize zu verstärken [1]. Reizverstärkende Objekte unterscheiden sich üblicherweise in Bezug auf Zusammensetzung, Form, Größe, Oberflächenstruktur, Geruch und Farbgebung. Durch Änderung der Umgebung und Hinzufügen von Gegenständen oder Hilfsmitteln werden neue Informationsquellen geschaffen. Wände, Zimmerecken, Stühle und Türrahmen fördern den Gleichgewichtssinn und die vertikale Ausrichtung im Raum. Daran können wir wachsen.
Bei der Bewegung in einer stabilen Umgebung füttern wir unser Körperschema mit neuen Informationen. Der Körper wird durch den festen Widerstand der uns umgebenden Welt begrenzt. Sobald wir auf den Widerstand unserer Umgebung stoßen, nimmt der Körper Sinneseindrücke wahr, die das Gehirn registriert und im Körperschema abspeichert.
Beispiel: Ein Schlaganfallpatient mit linksseitiger Hemiplegie hat am Frühstückstisch Pro­bleme, sich hinzusetzen. Beim Versuch stößt er mit dem Bein mehrfach gegen den Tisch.
Schließlich lässt er sich auf den Stuhl fallen, wobei er die Tischkante zum Abstützen nutzt. Er kämpft weiter. Schließlich gelingt es ihm, nach einer Kaffeetasse zu greifen.
Nur wenn die angereicherte Umgebung stabil ist, kann sie als Hilfsmittel genutzt werden. Das „Entlanghangeln“ an Möbeln hilft älteren Patienten dabei, das Gleichgewicht zu halten und Stürze zu vermeiden. Sie entwickeln eine Art Raumbewusstsein, das ihnen als Orientierungshilfe in den eigenen vier Wänden dient. Sie verlassen sich auf diese „virtuelle“ Karte ihrer alltäglichen Wohnumgebung. Auf diese Weise bewegen sie sich selbstständig und sicher. Bei Ermüdung bietet die stabile Wand Halt zur Entlastung der „überanstrengten“ Beine. Jeder Raum hat Wände und Zimmerecken. Therapeuten sollten ihren Patienten beibringen, diese durch leichtes Abstützen als therapeutische Hilfsmittel zu nutzen.
Haltungskontrolle und funktionelle Aktivitäten: zwei konkurrierende Aufgaben

Haltungskontrolle in Verbindung mit selekti­ver, zielorientierter Fortbewegung ist eine duale Auf­gabe, die vom Gehirn koordiniert werden muss. Je nach Komplexität der Aufgabe erfordert dies geteilte Aufmerksamkeit. Während normaler All­tagsaktivitäten müssen wir uns keine Gedanken um unser Gleichgewicht machen. Hier reichen minimale Haltungsanpassungen aus, um die gewünschte Haltung beizubehalten. Das ist einfach. Zur Lösung des jeweiligen Alltagsproblems reicht die verfügbare Aufmerksamkeit aus. Doch mit zunehmenden Anforderungen an die Aufmerksamkeit bei anspruchsvolleren Aufgaben treten bei Schlaganfallpatienten Gleichgewichtsprobleme auf. Wird die Aufmerksamkeit abgelenkt, wirkt sich das umso negativer auf die Balancefähigkeit aus. Diese Konkurrenz um Aufmerksamkeit ist insbesondere bei dualen Aufgaben eine Ursache für Stabilitätsverlust.
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Author
Marc Michielsen
Advanced Bobath Instructor
Marc Michielsen hat Physiotherapie an der Universität Leuven, Belgien, studiert und ist zudem Advanced Bobath Instructor. Sein Spezialgebiet ist die neurologische Rehabilitation, insbesondere nach Schlaganfall. Nach mehreren Stellen als leitender Physiotherapeut an verschiedenen Krankenhäusern ist er seit 2008 als Leiter des Rettungsdienstes im Rehabilitationszentrum des Jessa Hospital tätig. Michielsen veröffentlichte bereits mehrere Beiträge, Abstracts und andere wissenschaftliche Publikationen in namhaften Fachmagazinen.
References:
  1. Nithianantharajah, J., & Hannan, A. J. (2006). Enriched environments, experience-dependent plasticity and disorders of the nervous system. Nature reviews. Neuroscience, 7(9), 697–709.
  2. Zeiler, S. R., & Krakauer, J. W. (2013). The interaction between training and plasticity in the poststroke brain. Current opinion in neurology, 26(6), 609–616.
  3. Sallies (2006).
  4. West, T., & Bernhardt, J. (2012). Physical activity in hospitalised stroke patients. Stroke research and treatment, 2012, 813765.

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