
THERAPY-Magazin
Steile Lernkurve mit langem Lerneffekt
Das Projekt BalThaSAR optimiert das Gleichgewichtstraining mit akustischen Reizen. Erfahren Sie, wie diese Methode neurologischen Patienten hilft und nachhaltige Lerneffekte erzielt.

Marc Michielsen
Advanced Bobath Instructor
Akustisches Balancetraining
Die Hochschule Kempten beschäftigt sich in verschiedenen Forschungsprojekten intensiv mit digitalen Systemen in Pflege und Rehabilitation. Mit der medica Medizintechnik GmbH, der feo Elektronik GmbH und der Schön Klinik Bad Aibling arbeiteten Prof. Dr.-Ing. Petra Friedrich von der Fakultät Elektrotechnik und ihr wissenschaftlicher Mitarbeiter Dominik Fuchs an BalThaSAR – einem Projekt zur Optimierung des Balancetrainings für neurologische Patienten.
Frau Friedrich, was verbirgt sich hinter BalThaSAR?
Friedrich: Die Abkürzung steht für Balancetherapie mit automatisierter Sonifikation und Antriebstechnik für die Rehabilitation. BalThaSAR soll neurologisch geschädigte Personen bei der Wiederherstellung der reaktiven Balance und der Somatosensorik unterstützen. Es gibt bereits Trainingsmöglichkeiten für den Gleichgewichtssinn in einer sturzsicheren Umgebung. Die Grundidee dieses Projektes war es nun aber, erstens einen Prototyp mit Motoren zu bauen, um das Balancetraining zu optimieren, und zweitens den Gleichgewichtssinn nicht nur mithilfe visueller Rückmeldung zu trainieren, sondern den Patienten rein akustisch zu führen. Der Patient befindet sich damit in einer möglichst freien Trainingsumgebung, in der der Therapeut zusätzlich die Möglichkeit hat, Störimpulse zu setzen. Wenn der Patient also einen gewissen Trainingsstand erreicht hat, bekommt er beispielsweise einen kleinen Schubs von hinten oder von der Seite und muss darauf reagieren
Friedrich: Die Abkürzung steht für Balancetherapie mit automatisierter Sonifikation und Antriebstechnik für die Rehabilitation. BalThaSAR soll neurologisch geschädigte Personen bei der Wiederherstellung der reaktiven Balance und der Somatosensorik unterstützen. Es gibt bereits Trainingsmöglichkeiten für den Gleichgewichtssinn in einer sturzsicheren Umgebung. Die Grundidee dieses Projektes war es nun aber, erstens einen Prototyp mit Motoren zu bauen, um das Balancetraining zu optimieren, und zweitens den Gleichgewichtssinn nicht nur mithilfe visueller Rückmeldung zu trainieren, sondern den Patienten rein akustisch zu führen. Der Patient befindet sich damit in einer möglichst freien Trainingsumgebung, in der der Therapeut zusätzlich die Möglichkeit hat, Störimpulse zu setzen. Wenn der Patient also einen gewissen Trainingsstand erreicht hat, bekommt er beispielsweise einen kleinen Schubs von hinten oder von der Seite und muss darauf reagieren
Welchen Part hat die Hochschule in diesem Projekt übernommen?
Friedrich: Unser Anteil war das Thema Sonifikation: Die Entwicklung eines Sonifikationssystems inklusive akustischer Führung und geeigneter Trainingsspiele. Die Systemintegration aller Bauteile und Komponenten sowie die Steuerung hat dann medica übernommen.
Friedrich: Unser Anteil war das Thema Sonifikation: Die Entwicklung eines Sonifikationssystems inklusive akustischer Führung und geeigneter Trainingsspiele. Die Systemintegration aller Bauteile und Komponenten sowie die Steuerung hat dann medica übernommen.
Warum macht es Sinn, die Therapie des Gleichgewichts mit akustischen Reizen zu verbinden?
Fuchs: Bei einer Störung des Gleichgewichts entwickeln viele Patienten eine visuelle Abhängigkeit – sie suchen Fixpunkte, an denen sie sich orientieren können. Aber gerade in großen Menschenmengen, bei schnellen Bewegungen oder in der Dunkelheit gibt es diese Fixpunkte nicht. Deswegen ist es hilfreich, die visuelle Abhängigkeit abzubauen.
Friedrich: Literatur und Vorarbeiten legen die Vermutung nahe, dass speziell für das Training des Gleichgewichts akustische Reize effektiver sind als visuelle. Das war die Hypothese, die wir aufgestellt hatten. Die Idee war: Man nehme dem Patienten sukzessive den Visus, sodass er nur noch akustisch geführt wird und trotzdem alltagsrelevante Einheiten trainiert. Die Körperbewegungen werden dann sonifiziert, also vertont, d. h. dem Patienten wird seine aktuelle Position wie auch die Zielposition akustisch vermittelt. Wird der Visus gezielt ausgeschaltet, übernehmen zwangsläufig auch das Gleichgewichtsorgan und die Körpereigenwahrnehmung wieder mehr Aufgaben für die Orientierung im Raum.
Fuchs: Bei einer Störung des Gleichgewichts entwickeln viele Patienten eine visuelle Abhängigkeit – sie suchen Fixpunkte, an denen sie sich orientieren können. Aber gerade in großen Menschenmengen, bei schnellen Bewegungen oder in der Dunkelheit gibt es diese Fixpunkte nicht. Deswegen ist es hilfreich, die visuelle Abhängigkeit abzubauen.
Friedrich: Literatur und Vorarbeiten legen die Vermutung nahe, dass speziell für das Training des Gleichgewichts akustische Reize effektiver sind als visuelle. Das war die Hypothese, die wir aufgestellt hatten. Die Idee war: Man nehme dem Patienten sukzessive den Visus, sodass er nur noch akustisch geführt wird und trotzdem alltagsrelevante Einheiten trainiert. Die Körperbewegungen werden dann sonifiziert, also vertont, d. h. dem Patienten wird seine aktuelle Position wie auch die Zielposition akustisch vermittelt. Wird der Visus gezielt ausgeschaltet, übernehmen zwangsläufig auch das Gleichgewichtsorgan und die Körpereigenwahrnehmung wieder mehr Aufgaben für die Orientierung im Raum.
Wie wirksam ist denn das neue Trainingskonzept im Vergleich zu „herkömmlichem“ Balancetraining, Herr Fuchs?
Fuchs: In Testreihen mit gesunden Probanden haben wir gesehen, dass bei einer rein visuellen Rückmeldung die Zielführung schnell erkannt und gelernt wird. Aber dann ändert sich am Lerneffekt kaum mehr etwas. Man lernt schnell, wird dann aber nicht mehr unbedingt besser. Außerdem gibt es den sogenannten Guidance-Effekt: Ein starkes Feedback wie das visuelle dominiert zum Beispiel auch die körpereigene Wahrnehmung, also die Propriozeption. Entfällt dieses Feedback, können die Patienten häufig kaum mehr als vor dem Training. Das Auditive ist nicht so dominant und wird weitgehend parallel zum intrinsischen Feedback verarbeitet. Die Patienten sind zwar erst mal viel langsamer, denn es ist anstrengender und schwieriger zu lernen. Man muss die ganze Körpereigenwahrnehmung miteinbeziehen. Aber es deutet vieles darauf hin, dass im Vergleich zum Training mit Visus die Lernkurve steiler ansteigt und der Lerneffekt länger anhält – also, dass das Training effektiver ist. Das gilt es jetzt noch in größeren Untersuchungen festzumachen.
Fuchs: In Testreihen mit gesunden Probanden haben wir gesehen, dass bei einer rein visuellen Rückmeldung die Zielführung schnell erkannt und gelernt wird. Aber dann ändert sich am Lerneffekt kaum mehr etwas. Man lernt schnell, wird dann aber nicht mehr unbedingt besser. Außerdem gibt es den sogenannten Guidance-Effekt: Ein starkes Feedback wie das visuelle dominiert zum Beispiel auch die körpereigene Wahrnehmung, also die Propriozeption. Entfällt dieses Feedback, können die Patienten häufig kaum mehr als vor dem Training. Das Auditive ist nicht so dominant und wird weitgehend parallel zum intrinsischen Feedback verarbeitet. Die Patienten sind zwar erst mal viel langsamer, denn es ist anstrengender und schwieriger zu lernen. Man muss die ganze Körpereigenwahrnehmung miteinbeziehen. Aber es deutet vieles darauf hin, dass im Vergleich zum Training mit Visus die Lernkurve steiler ansteigt und der Lerneffekt länger anhält – also, dass das Training effektiver ist. Das gilt es jetzt noch in größeren Untersuchungen festzumachen.
Werden die Forschungsergebnisse in reale Produkte umgesetzt?
Friedrich: BalThaSAR war ein sehr schönes und fruchtbares Projekt. Der Vorteil war, dass wir wirk-
lich ein neues Thema hatten und einen Prototyp entwickeln konnten. Was bei BalThaSAR noch fehlt, bevor man es zu einem Produkt entwickeln kann, sind unter anderem die klinischen Tests. Ohne diese Wirksamkeitsstudien gibt es keine Zulassung. Ob das Ganze in die Serienreife geht, ist Sache des Industriepartners.
Friedrich: BalThaSAR war ein sehr schönes und fruchtbares Projekt. Der Vorteil war, dass wir wirk-
lich ein neues Thema hatten und einen Prototyp entwickeln konnten. Was bei BalThaSAR noch fehlt, bevor man es zu einem Produkt entwickeln kann, sind unter anderem die klinischen Tests. Ohne diese Wirksamkeitsstudien gibt es keine Zulassung. Ob das Ganze in die Serienreife geht, ist Sache des Industriepartners.
Forschen Sie in diese Richtung weiter?
Friedrich: Es geht immer mehr in Richtung Digitalisierung und Technik in der Pflege und Rehabilitation. Das ist im Moment das Thema, das gewissermaßen durch die Decke geht. Und das betrifft auch uns. Wir an der Hochschule haben beschlossen, auch auf diesem Gebiet – also Balancetraining und Gleichgewichtssinn – weiterzumachen
und das auch weiterhin mit der Akustik zu kombinieren. Da gibt es auch noch ganz viele neue Fragen. Einerseits vom Therapeutischen her, andererseits vom Musikalisch-akustischen. Und natürlich von der Umsetzung auch aus technischer Sicht.
Fuchs: Natürlich kann man die Software noch weiterentwickeln und wesentlich dynamischer und intelligenter machen, sodass sich die Patienten im besten Falle weder unter- noch überfordert fühlen und in einem Zustand trainieren, den man als „Flow“ bezeichnen kann. Vielleicht ergibt sich daraus ja eine weitere Zusammenarbeit mit medica.
Friedrich: Mein Anliegen in der Forschung ist es, Assistenzsysteme für die älter werdende Gesellschaft zu entwickeln, mit dem Ziel, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können. Es gibt das Problem des Fachkräftemangels unter Therapeuten und gerade die alten Menschen können oft nicht mehrfach die Woche in eine Praxis kommen. Und das Credo in der Reha ist ja „Repetition, Repetition, Repetition“, wie ich gelernt habe. Da macht es durchaus Sinn, dass man das Bewegungstraining auch und vor allem zu Hause macht. Im besten Fall unter therapeutischer Aufsicht oder über ein telemedizinisches Assistenzsystem, über das der Therapeut die Trainingseinheiten zusammenstellt, die dann auf das Trainingsgerät des Patienten zuhause hochgeladen werden. In Kombination mit IT, Entertainment und Smart Home-Technik wird in den kommenden Jahren noch viel auf dem Gebiet passieren. Im Projekt BalThaSAR ist dieser Aspekt noch nicht realisiert worden.
Friedrich: Es geht immer mehr in Richtung Digitalisierung und Technik in der Pflege und Rehabilitation. Das ist im Moment das Thema, das gewissermaßen durch die Decke geht. Und das betrifft auch uns. Wir an der Hochschule haben beschlossen, auch auf diesem Gebiet – also Balancetraining und Gleichgewichtssinn – weiterzumachen
und das auch weiterhin mit der Akustik zu kombinieren. Da gibt es auch noch ganz viele neue Fragen. Einerseits vom Therapeutischen her, andererseits vom Musikalisch-akustischen. Und natürlich von der Umsetzung auch aus technischer Sicht.
Fuchs: Natürlich kann man die Software noch weiterentwickeln und wesentlich dynamischer und intelligenter machen, sodass sich die Patienten im besten Falle weder unter- noch überfordert fühlen und in einem Zustand trainieren, den man als „Flow“ bezeichnen kann. Vielleicht ergibt sich daraus ja eine weitere Zusammenarbeit mit medica.
Friedrich: Mein Anliegen in der Forschung ist es, Assistenzsysteme für die älter werdende Gesellschaft zu entwickeln, mit dem Ziel, möglichst lange in den eigenen vier Wänden leben zu können. Es gibt das Problem des Fachkräftemangels unter Therapeuten und gerade die alten Menschen können oft nicht mehrfach die Woche in eine Praxis kommen. Und das Credo in der Reha ist ja „Repetition, Repetition, Repetition“, wie ich gelernt habe. Da macht es durchaus Sinn, dass man das Bewegungstraining auch und vor allem zu Hause macht. Im besten Fall unter therapeutischer Aufsicht oder über ein telemedizinisches Assistenzsystem, über das der Therapeut die Trainingseinheiten zusammenstellt, die dann auf das Trainingsgerät des Patienten zuhause hochgeladen werden. In Kombination mit IT, Entertainment und Smart Home-Technik wird in den kommenden Jahren noch viel auf dem Gebiet passieren. Im Projekt BalThaSAR ist dieser Aspekt noch nicht realisiert worden.
Inwiefern profitiert die Hochschule von dem Projekt?
Friedrich: Mir persönlich macht es sehr viel Spaß, interdisziplinär zu arbeiten und in die Breite zu gehen, das System als Ganzes im Blick zu haben. Für uns als Hochschule ist die Forschung an sich wichtig, die Methoden, die fachlichen Fragen und die Lösung derselben. Und natürlich ist es auch wesentlich, dass wir das in der Lehre einsetzen können – die Verbindung von Forschung und Lehre. Dadurch sind die Studierenden der höheren Semester wieder interessierter, ihre Abschlussarbeit hier an der Hochschule zu machen. Das ist anwendungsnah und industrienah. Wir hatten als Hochschule auch den Mehrwert, dass wir uns nach industriellen Entwicklungsprozessen richten mussten. Es gab alle zwei Wochen Telefonkonferenzen, es gab gemeinsame Laufwerke, auf die wir die Dokumente hochgeladen haben. Diese Dinge für uns bzw. für unsere Studierenden, die mit ihren Abschlussarbeiten an dem Projekt beteiligt waren, zu nutzen und sich an bestimmte Prozesse halten zu müssen, war sehr lehr- und hilfreich. Und das ist ja unser Kern – wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften – und dafür finde ich, sind solche Projekte unabdingbar.
Friedrich: Mir persönlich macht es sehr viel Spaß, interdisziplinär zu arbeiten und in die Breite zu gehen, das System als Ganzes im Blick zu haben. Für uns als Hochschule ist die Forschung an sich wichtig, die Methoden, die fachlichen Fragen und die Lösung derselben. Und natürlich ist es auch wesentlich, dass wir das in der Lehre einsetzen können – die Verbindung von Forschung und Lehre. Dadurch sind die Studierenden der höheren Semester wieder interessierter, ihre Abschlussarbeit hier an der Hochschule zu machen. Das ist anwendungsnah und industrienah. Wir hatten als Hochschule auch den Mehrwert, dass wir uns nach industriellen Entwicklungsprozessen richten mussten. Es gab alle zwei Wochen Telefonkonferenzen, es gab gemeinsame Laufwerke, auf die wir die Dokumente hochgeladen haben. Diese Dinge für uns bzw. für unsere Studierenden, die mit ihren Abschlussarbeiten an dem Projekt beteiligt waren, zu nutzen und sich an bestimmte Prozesse halten zu müssen, war sehr lehr- und hilfreich. Und das ist ja unser Kern – wir sind eine Hochschule für angewandte Wissenschaften – und dafür finde ich, sind solche Projekte unabdingbar.
Vielen Dank für das interessante Gespräch.

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Marc Michielsen
Advanced Bobath Instructor
Marc Michielsen hat Physiotherapie an der Universität Leuven, Belgien, studiert und
ist zudem Advanced Bobath Instructor. Sein Spezialgebiet ist die neurologische Rehabilitation,
insbesondere nach Schlaganfall. Nach mehreren Stellen als leitender
Physiotherapeut an verschiedenen Krankenhäusern ist er seit 2008 als Leiter des
Rettungsdienstes im Rehabilitationszentrum des Jessa Hospital tätig. Michielsen
veröffentlichte bereits mehrere Beiträge, Abstracts und andere wissenschaftliche
Publikationen in namhaften Fachmagazinen.
References:
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