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THERAPY-Magazin
Wake up, get up and get out

Die Frühmobilisation verbessert den Outcome von Intensivpatienten. Erfahren Sie, wie ein evidenzbasiertes Konzept Folgeschäden minimiert und die Selbstständigkeit fördert.

Author
Sabrina Grossenbacher-Eggmann
Therapieexpertin am Institut für Physiotherapie am Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz
Kürzere Verweildauer auf der Intensivstation und im Spital, selbstständiger bei der Entlassung – die Frühmobilisation auf der Intensivstation verbessert den Outcome und ist zudem auch sicher, wie die Autorin aufzeigt.
Bereits innerhalb der ersten 72 Stunden unter Bettruhe beginnt ein Muskelabbau.

Seit vielen Jahren ist bekannt, dass die (immer noch oft) verordnete Bettruhe bei vielen Krankheiten kaum einen Nutzen hat. Sie kann im Gegenteil schädlich sein und die Erholungsdauer der Patienten verlängern [1]. Bereits innerhalb der ersten 72 Stunden unter Bettruhe beginnt ein Muskelabbau, der beim gesunden älteren Erwachsenen in zehn Tagen die Muskelkraft um 16 % reduziert [5]. In Kombination mit einer kritischen Erkrankung, wie beispielsweise einer Sepsis, ist dieser Muskelverlust sogar noch höher [6]. So leiden nach sieben Tagen maschineller Beatmung bereits 24 bis 77 % der Patienten an einer generalisierten Muskelschwäche, ICUAW (Intensive Care United Acquired Weakness) genannt [6, 12].
„Intensive Care Unit Acquired Weakness“ – eine generalisierte, diffuse Muskelschwäche

Die ICUAW ist eine Ausschlussdiagnose: Bis auf die kritische Erkrankung selbst lässt sich keine bestimmbare Ursache finden. Sie beschreibt eine klinisch diagnostizierte, neu aufgetretene, diffuse Muskelschwäche, wobei die betroffenen Intensivstationspatienten definitionsgemäß weniger als 48 Punkte auf dem „Medical Research Council Summenscore“ erreichen (siehe Tabelle) [12].
Die Entstehung einer ICUAW wird einerseits durch die kritische Erkrankung begünstigt, wobei Mechanismen wie Hypoxie, Hypotonie, Entzündung, Glukose-Dysregulation, Katabolismus und Mangelernährung eine wichtige Rolle einnehmen. Andererseits tragen spezifische intensivmedizinische Maßnahmen, wie eine mechanische Beatmung, sedierende Medikamente oder eine lange Immobilisation, zur Entstehung bei. Es entsteht ein Teufelskreis mit gravierenden Folgen, die unter dem Begriff „Post-Intensive Care Syndrome“ zusammengefasst werden [8]. Beispielsweise leiden ein Jahr nach ihrem Intensivstationsaufenthalt mehr als die Hälfte aller Überlebenden unter einem schlechten funktionellen Status. Jeder Vierte zeigt eine posttraumatische Belastungsstörung. Die Lebensqualität ist stark ein­geschränkt und die Mortalität hoch. Es besteht also dringender Handlungsbedarf, ICUAW-gefährdete Patienten rechtzeitig zu erkennen und mit einer angepassten Therapie zu versorgen.
Das ABCDE-Konzept

Um den Teufelskreis zwischen Immobilität, Beatmung und Beruhigungsmitteln zu überwinden und um das „Post-Intensive Care Syndrom“ zu reduzieren, wird das evidenzbasierte, interdisziplinäre ABCDE-Konzept empfohlen (Awakening, Breathing, Coordination, Delirium Monitoring, Exercise/Early Mobilization). Anhand von Protokollen wird täglich die Notwendigkeit der Beatmung und Sedation überprüft und angepasst. Ein tägliches Screening soll einem akuten Verwirrtheitszustand (Delirium) vorbeugen und die Immobilität wird durch eine frühe Mobilisation, Alltagsaktivitäten und Bewegungsübungen verringert [14].

Um die Sicherheit der Patienten stets zu gewährleisten und die einzelnen Komponenten des ABCDE-Konzepts erfolgreich zu kombinieren, erfordert die Umsetzung eine abgestimmte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Physiotherapeuten, Inten­-
siv­pflegefachpersonen und Ärzten.
Frühmobilisationen sind sicher

Potenzielle Barrieren einer Frühmobilisation sind die Befürchtungen, einen lebenswichtigen Katheter versehentlich zu entfernen oder eine Verschlechterung der Vitalparameter zu verursachen bei einem ohnehin schon instabilen Patienten. Für die Sicherheit der Frühmobilisation gibt es jedoch zunehmend positive Evidenz. So untersuchte eine multizentrische prospektive Beobachtungsstudie, wie sich physiotherapeutische Interventionen auf mehreren interdisziplinären Intensivstationen während drei Monaten auswirkten: Sie fand nur gerade bei 0,2 % aller Behandlungen unerwünschte Reaktionen [15].

Eine weitere Studie beobachtete die Sicherheit der Physiotherapie und Frühmobilisierung während 30 Monaten. Es gab lediglich bei 0,6 % aller 5.267 Behandlungen unerwünschte Ereignisse. Die häu­­figsten betrafen zwar die Vitalparameter, diese erholten sich nach einem Unterbruch der Therapie jedoch rasch und es kam zu keinen weiteren Schädigungen [11].
Sicherheitskriterien

Es gilt zu beachten, dass bei den genannten Studien die Frühmobilisierung stets von erfahrenen Physiotherapeuten und in interdisziplinärer Zusammenarbeit erfolgte. Eine sichere Mobilisation auf der Intensivstation benötigt dabei mindestens zwei Per­sonen. Außerdem sollten vor jeder Mobilisation folgende Sicherheitskriterien überprüft werden:
• Sind genügend kardiovaskuläre und respiratorische Reserven vorhanden? Die Toleranzgrenze kann individuell aufgrund vorgängiger Reaktionen auf eine Intervention abgeschätzt werden. Beispiel: Eine Patientin, die durch eine passive Umlagerung prolongiert entsättigt (SpO2 < 85 %), ist aufgrund der eingeschränkten respiratorischen Reserve für eine Mobilisation eher ungeeignet.
• Gibt es Leitungen/Installationen (z. B. eine intraaortale Ballonpumpe), welche eine Mobilisation kontraindizieren? Auf jeden Fall sollen vor einer Mobilisation alle Leitungen/Installationen kontrolliert und gesichert werden.
• Gibt es neurologische, orthopädische oder sonstige Kontraindikationen?
• Welche Medikamente bekommt der Patient aktuell und wie könnten sie eine Mobilisation allenfalls beeinflussen?
• Ist der Bewusstseinszustand stabil und der Patient mit der Mobilisation einverstanden?

Anschließend wird die Mobilisationsmethode und -intensität festgelegt. Die Frühmobilisation findet darauf unter einer kontinuierlichen Überwachung hämodynamischer und respiratorischer Parameter statt. Dadurch kann – falls nötig – sofort eingegriffen werden, indem beispielsweise die Intensität reduziert, zusätzlich Sauerstoff gegeben oder die Druckunterstützung des Beatmungsgerätes erhöht wird [13].
Aufbau und Möglichkeiten der Frühmobilisation
Bislang fehlen optimale Zielvorgaben zum Training des kritisch Kranken. Da primär nicht eine verbesserte kardiorespiratorische Fitness im Vordergrund steht, sollte bei stabilen Patienten eher ein tief do­-
siertes Training angestrebt werden. Bewährt haben sich sukzessiv aufeinander aufbauende Interventio­nen mit genügend Pausen dazwischen.

Die Grundlage der Frühmobilisation auf der Intensivstation bildet die Bewegungstherapie. In der Regel werden nicht kontaktierbare Patienten täglich mit drei bis zehn Wiederholungen pro Gelenk durchbewegt und mittels Eigenberührungen gefördert. Sobald ein Patient wacher wird, kommen einfache Alltagsaktivitäten hinzu, wie drehen, sich durch die Haare streifen oder das Gesicht waschen. Dabei soll der Patient unter therapeutischer Führungshilfe so rasch wie möglich Eigenaktivität übernehmen. Um dem verheerenden Muskelabbau auf der Intensivstation weiter entgegenzuwirken, sollte möglichst früh mit einem angepassten Krafttraining begonnen werden. Dazu kommen leichte Gewichte oder therapeutischer Widerstand zum Einsatz, trainiert wird auf einer mittleren Belastungsintensität (geschätzte 50 bis 70 % des 1-Repetition-Maximums, 8 bis 12 Wiederholungen, 2 bis 5 Serien).
Die eigentliche Frühmobilisation beginnt, sofern die Sicherheitskriterien erfüllt sind, mit dem aufrechten Aufsitzen im Bett. Bleiben die Vitalparameter stabil, kann zur nächsten Progressionsstufe übergegangen werden: Sitzen am Bettrand, sitzen im Lehnstuhl, Stehen bis hin zum Gehen.
Aufbau und Möglichkeiten der Frühmobilisation

Bislang fehlen optimale Zielvorgaben zum Training des kritisch Kranken. Da primär nicht eine verbesserte kardiorespiratorische Fitness im Vordergrund steht, sollte bei stabilen Patienten eher ein tief do­siertes Training angestrebt werden. Bewährt haben sich sukzessiv aufeinander aufbauende Interventio­nen mit genügend Pausen dazwischen.

Die Grundlage der Frühmobilisation auf der Intensivstation bildet die Bewegungstherapie. In der Regel werden nicht kontaktierbare Patienten täglich mit drei bis zehn Wiederholungen pro Gelenk durchbewegt und mittels Eigenberührungen gefördert. Sobald ein Patient wacher wird, kommen einfache Alltagsaktivitäten hinzu, wie drehen, sich durch die Haare streifen oder das Gesicht waschen. Dabei soll der Patient unter therapeutischer Führungshilfe so rasch wie möglich Eigenaktivität übernehmen. Um dem verheerenden Muskelabbau auf der Intensivstation weiter entgegenzuwirken, sollte möglichst früh mit einem angepassten Krafttraining begonnen werden. Dazu kommen leichte Gewichte oder therapeutischer Widerstand zum Einsatz, trainiert wird auf einer mittleren Belastungsintensität (geschätzte 50 bis 70 % des 1-Repetition-Maximums, 8 bis 12 Wiederholungen, 2 bis 5 Serien).
Die eigentliche Frühmobilisation beginnt, sofern die Sicherheitskriterien erfüllt sind, mit dem aufrechten Aufsitzen im Bett. Bleiben die Vitalparameter stabil, kann zur nächsten Progressionsstufe übergegangen werden: Sitzen am Bettrand, sitzen im Lehnstuhl, Stehen bis hin zum Gehen.
Heutzutage bereichern verschiedene neue Hilfsmittel die Frührehabilitation des kritisch Kranken. Ein mo­tor­unterstütztes Bettfahrradergometer ermög­licht be-reits bei sedierten oder ICUAW-betroffenen Patienten ein moderates Ausdauertrai­ning. Ein elektrischer Stehtisch er­leich­tert die Mobilisation eines schwerbetroffenen kritisch Kran­ken in den Stand und Videospiele können die Motiva­tion, aber auch die Aus­dauer und Balance­fähigkeit des kritisch Kranken fördern [4]
Frühmobilisation verbessert den Outcome

Die beschriebene Frühmobilisation bei kritisch Kranken auf der Intensivstation ist nicht nur sicher, sondern verbessert auch nachweislich den Outcome. So führte ein Mobilisationskonzept auf einer medizinischen Intensivstation zu einem signifikant kürzeren Intensivstations- und Spitalaufenthalt [7]. Ein zusätzliches Bettfahrradtraining auf der Intensivstation verbesserte die Gehstrecke, gemessen mit dem 6-Minuten-Gehtest, sowie die subjektive körperliche Funktionsfähigkeit im Short-Form-36-Gesundheitsfragebogen (SF-36) bei Spitalaustritt signifikant [2]. Gegenüber ansonsten üblicher Therapie verkürzte die Kombination von täglichen Sedationsstopps mit der Frühmobilisation, inklusive Physio- und Ergotherapie, die Anzahl Tage mit Beatmung so­wie mit Delirium signifikant. Dadurch waren die Patienten bei Spitalaustritt deutlich selbstständiger in ihren Alltagsaktivitäten und konnten, anstelle einer Rehabilitation, direkt nach Hause entlassen werden [9].
Die Intensivstation so früh als möglich verlassen

Das Ziel intensivmedizinischer Maßnahmen ist die Rückkehr in ein angemessenes Lebensumfeld [10]. Um Folgeschäden zu vermeiden, sollte daher bereits während der kritischen Erkrankung eine durchgehende Rehabilitation stattfinden. Physiotherapeuten spielen in diesem oft nur auf das Überleben fokussierten Umfeld eine wesentliche Rolle, da sie Funktionsverminderungen bereits während des Intensivstationsaufenthaltes evaluieren und behandeln können, getreu der vorliegenden Evidenz und dem Motto: „Wake up, get up and get out of the ICU as soon as possible!“ [3].
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Author
Sabrina Grossenbacher-Eggmann
Therapieexpertin am Institut für Physiotherapie am Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz
Sabrina Grossenbacher-Eggmann, PT MSc, arbeitet als Therapieexpertin am Institut für Physiotherapie am Inselspital, Universitätsspital Bern, Schweiz. Sie ist Fachverantwortliche für die interdisziplinäre Intensivstation der Kategorie I (gesamtes Spektrum der Intensivmedizin, mit Ausnahme schwerer Verbrennungen) und Initiantin einer Studie zum Training auf der Intensivstation.
References:
  1. Allen C, Glasziou P, Del Mar C (1999): Bed rest: a potentially harmful treatment needing more careful evaluation. Lancet 1999, 354(9186): 1229-1233
  2. Zeppos L, Patman S, Berney S, Adsett JA, Bridson JM, Paratz JD (2007): Physiotherapy in intensive care is safe: an observational study. The Australian journal of physiotherapy 2007, 53(4): 279-283.Zeppos L, Patman S, Berney S, Adsett JA, Bridson JM, Paratz JD (2007): Physiotherapy in intensive care is safe: an observational study. The Australian journal of physiotherapy 2007, 53(4): 279-283.Burtin C, Clerckx B, Robbeets C, Ferdinande P, Langer D, Troosters T, Hermans G, Decramer M, Gosselink R (2009): Early exercise in critically ill patients enhances short-term functional recovery. Critical care medicine 2009, 37(9): 2499-2505.
  3. Fan E (2010): What is stopping us from early mobility in the intensive care unit? Critical care medicine 2010, 38(11): 2254-2255.
  4. Kho ME, Damluji A, Zanni JM, Needham DM (2012): Feasibility and observed safety of interactive video games for physical rehabilitation in the intensive care unit: a case series. Journal of Critical Care 2012(27): 219.
  5. Kortebein P, Ferrando A, Lombeida J, Wolfe R, Evans WJ (2007): Effect of 10 days of bed rest on skeletal muscle in healthy older adults. JAMA: the journal of the American Medical Association 2007, 297(16): 1772-1774.
  6. Latronico N, Bolton CF (2011): Critical illness polyneuropathy and myopathy: a major cause of muscle weakness and paralysis. Lancet neurology 2011, 10(10): 931-341.
  7. Morris PE, Goad A, Thompson C, Taylor K, Harry B, Passmore L, Ross A, Anderson L, Baker S, Sanchez M et al. (2008): Early intensive care unit mobility therapy in the treatment of acute respiratory failure. Critical care medicine 2008, 36(8): 2238-2243.
  8. Needham DM, Davidson J, Cohen H, Hopkins RP, Weinert C, Wunsch H, Zawistowski C, Bermis-Dougherty A, Berney SC, Bienvenu OJ et al. (2012): Improving long-term outcomes after discharge from intensive care unit: report from a stakeholders’ conference. Critical care medicine 2012, 40(2): 502-509.
  9. Schweickert WD, Pohlman MC, Pohlman AS, Nigos C, Pawlik AJ, Esbrook CL, Spears L, Miller M, Franczyk M, Deprizio D et al. (2009): Early physical and occupational therapy in mechanically ventilated, critically ill patients: a randomised controlled trial. Lancet 2009, 373(9678): 1874-1882.
  10. Schweizerische Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW) (2013): Intensivmedizinische Massnahmen. In: Medizin-ethische Richtlinien und Empfehlungen, 2013: 1-53. https://www.samw.ch/de/Publikationen/Richtlinien.html
  11. Sricharoenchai T, Parker AM, Zanni JM, Nelliot A, Dinglas VD, Needham DM (2014): Safety of physical therapy interventions in critically ill patients: A single-center prospective evaluation of 1110 intensive care unit admissions. Journal of Critical Care 2014, 29(3): 395-400.
  12. Stevens RF, Marshall SA, Cornblath DR, Hoke A, Needham DM, de Jonghe B, Ali NA, Sharshar T (2009): A framework for diagnosing and classifying intensive care unit-acquired weakness. Critical care medicine 2009. 37(10 Suppl): S. 299-308.
  13. Stiller K, Phillips A (2003): Safety aspects of mobilising acutely ill patients. Physiotherapy Theory and Practice 2003 (19): 239-257.
  14. Vasilevskis EE, Ely EW, Speroff T, Pun BT, Boehm L, Dittus RS (2010): Reducing iatrogenic risks: ICU-acquired delirium and weakness – crossing the quality chasm. Chest 2010, 138(5): 1224-1233.
  15. Zeppos L, Patman S, Berney S, Adsett JA, Bridson JM, Paratz JD (2007): Physiotherapy in intensive care is safe: an observational study. The Australian journal of physiotherapy 2007, 53(4): 279-283.

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